1945

Olvido Fanjul Camín BEFREIT

Olvido in Russland.

Olvido ist eine “Rotspanierin” – sie kämpft im Spanischen Bürgerkrieg im aktiven Widerstand gegen die Nationalisten unter Franco. Sie hilft dabei, eine Gruppe von Kindern aus Spanien nach Russland zu evakuieren, wo sie in Sicherheit leben sollen. Doch dann besetzt die Wehrmacht die russische Stadt Puschkin und Olvido wird von den Nazis verhaftet und verschleppt. In Gefangenschaft bringt sie ein Kind zur Welt, das ihr weggenommen wird. Dann wird sie als eine von rund 400 “Rotspanierinnen” in das KZ Ravensbrück deportiert.

28. September 1910

Schülerinnen in Gijón, 1920.

Olvido wird in Gijón, einer Stadt an der spanischen Nordküste, geboren. Ihre Großeltern Celestino und Teresa sind Mitbegründer der sozialistischen Bewegung in Gijón. Olvido ist das dritte von fünf Kindern und hat vier Brüder: Belarmino, Celestino, Manuel und Marino. Die Familie lebt im Viertel La Calzada, in einem einfachen Haus, das das dortige Gasunternehmen seinen Arbeiter:innen zur Verfügung stellt.

1924

Frauen in der Webstuhlabteilung der Textilfabrik La Algodonera, 1925.

Mit vierzehn Jahren wird Olvido Waise, ihre Eltern Manuel und Carmen sind gestorben. Genauere Umstände sind nicht mehr bekannt. Ein Jahr später, mit 15, muss sie in der Textilfabrik La Algodonera arbeiten. Später macht sie eine Ausbildung zur Pflegehelferin in einem kleinen Krankenhaus in Gijón.

17./18. Juli 1936

Propagandaplakat des “Socorro Rojo International”.

Der Spanische Bürgerkrieg bricht aus. Für Olvido ändert sich alles. Sie verlässt die Textilfabrik, in der sie bis zum Kriegsausbruch noch immer tätig war und will sich jetzt aktiv im Kampf gegen die Nationalist:innen einsetzen. Sie arbeitet wieder im Krankenhaus, wo sie vor allem Frauen versorgt, die nicht viel Geld haben. Außerdem engagiert sie sich in verschiedenen Organisationen. Sie wird Mitglied der “Confederación Nacional del Trabajo” (CNT) und schließt sich der “Agrupación de Mujeres Antifascistas” an, einer antifaschistischen Frauengruppe. Die Gruppe organisiert Schneiderwerkstätten in der Stadt, die Kleidung für die republikanischen Kämpfer herstellen. Außerdem arbeitet sie mit der “Internationalen Roten Hilfe” zusammen, die in Spanien “Socorro Rojo International” heißt. Das ist eine Hilfsorganisation, die mit der “Kommunistischen Internationalen” verbunden ist. Sie setzen sich u.a. für Kinder ein, die durch den Krieg von ihren Familien getrennt oder zu Waisen wurden.

Der Spanische Bürgerkrieg

Der Spanische Bürgerkrieg, ausgelöst am 17./18. Juli 1936 durch einen Militärputsch, richtete sich gegen die demokratisch gewählte republikanische Regierung Spaniens, die “Zweite Spanische Republik” (kurz: Republikaner), die erst wenige Jahre zuvor ausgerufen worden war. Den Republikanern gegenüber standen die rechtsgerichteten Putschisten unter der Führung von General Francisco Franco (kurz: Nationalisten). Schon einige Tage nach dem Putsch sah es nach einem schnellen Sieg für die Republikaner aus, doch dann beschlossen ausländische Regierungen, den Hilfegesuchen der Nationalisten nachzukommen und in das Kriegsgeschehen einzugreifen.

Zivilisten_unter_Beschuss_im_Spanischen_Bürgerkrieg
Zivilist:innen unter Beschuss beim Spanischen Bürgerkrieg, 1936.

23. September 1937

Ein kleines Mädchen, scheinbar sicher aufgehoben in einem Kinderheim des “Socorro Rojo International”: Das SRI wirbt mit diesem Plakat um Spendengelder.

Die republikanische Front in Gijón steht kurz vor dem Fall. Aus diesem Grund sollen 1.100 Kinder aus der Stadt evakuiert werden. Der Lehrer Pablo Miaja hat eine Expedition geplant: Die Kinder sollen in die Sowjetunion auswandern und dort mit spanischen Lehrer:innen und Betreuer:innen, die sich der Expedition angeschlossen haben, in Sicherheit leben. Olvido schließt sich der Reise an, die im Hafen von El Musel in Gijón beginnt. Zuerst geht es mit einem französischen Frachtschiff nach Saint Nazaire in Frankreich, dann auf einem Transantlantikschiff weiter nach London und von dort aus auf dem russischen Schiff “Feliks Dzerzhinsky” nach Leningrad. Währenddessen tobt der Krieg in Olvidos Heimat weiter. Nur wenige Tage nachdem Olvido ihre Reise angetreten hat, verliert ihr Bruder Manuel, Kommandeur des Bataillons 263, bei einem Gegenangriff zur Rückeroberung Asturiens sein Leben.

4. Oktober 1937

V.l.n.r.: Olvido, Milagros (ein Mädchen aus dem Kinderhaus in Pushkin), Julia (Olvidos Freundin, die mit ihr im selben Haus lebt und ebenfalls als Betreuerin arbeitet).

Die Gruppe mit den 1.100 Kindern, Lehrer:innen und Erzieher:innen erreicht Leningrad, das heutige Sankt Petersburg. Von dort aus geht es in das 25 km südlich gelegene Puschkin, das heute zu Sankt Petersburg gehört, 1937 aber eine eigene Stadt mit rund 50.000 Einwohner:innen und vor allem als ehemalige Residenz der russischen Zaren bekannt ist. Die Kinder gehen dort in eine spanische Schule. Olvido wird als Erzieherin für die jüngsten Kinder eingeteilt. Insgesamt 2.895 Kinder (auch “Niños de Rusia” oder “Niños de La Guerra” genannt) wurden während des Spanischen Bürgerkrieges in die Sowjetunion evakuiert. Nach einiger Zeit lernt Olvido Dimitri kennen, er ist ein Offizier der Roten Armee. Die beiden heiraten.

22. Juni 1941

"Niños de Rusia" mit Lehrerin in Puschkin.

Die “Operation Barbarossa” beginnt und Dimitri wird an die Front geschickt. Rund drei Monate später, am 8. September 1941, beginnt die Leningrader Blockade und die Wehrmacht besetzt einige Tage später Puschkin. Die spanische Schule wird evakuiert und die Kinder können noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Doch Olvido begleitet die Gruppe diesmal nicht, denn sie ist schwanger und beschließt darum, bei der Familie ihres Mannes zu bleiben und auf Nachrichten von ihm zu warten. Doch Dimitri wird nicht mehr zurückkehren.

Ende 1941

Einmarsch der Wehrmacht in Pärnu, Estland, 1941.

Olvidos Entscheidung, Puschkin nicht zu verlassen, hat schwere Folgen für sie. Sie wird von den Deutschen festgenommen und nach Tallinn, Estlands Hauptstadt, gebracht. Dort wird sie in einem Gefängnis inhaftiert und muss Zwangsarbeit in einer Textilwerkstatt leisten.

Sommer 1942

Olvido in Russland, undatiert.

Olvidos Sohn wird im Gefängnis geboren, den sie nach dem Vater Dimitri nennt. Dann geschieht etwas, das Olvido ihr ganzes Leben lang nicht verarbeiten kann: Die Deutschen nehmen ihr, nur drei Monate nach der Geburt, ihren Sohn weg. Kurz darauf wird ihr mitgeteilt, dass er gestorben ist. Ob das der Wahrheit entspricht und was genau mit ihrem Sohn geschehen ist, wird sie nie erfahren.

26. Februar 1943

Detail der Skulptur “Drei Frauen mit Bahre” von Fritz Cremer auf dem Gelände der Gedenkstätte Ravensbrück.“

Olvido und mit ihr mindestens drei weitere Frauen aus Asturien, sie heißen Elisa, Leonor und Margarita, werden in das KZ Ravensbrück deportiert. Olvido erhält die Häftlingsnummer 18.217. Sie sind die ersten von rund 400 weiblichen “Rotspanierinnen”, die in einem Konzentrationslager inhaftiert werden. Als Olvido in Ravensbrück ankommt, ist sie von dem Verlust ihres Sohnes tief erschüttert. Sie hat allen Lebenswillen verloren und aufgehört zu essen. Nur die Sorge und Solidarität der drei anderen Asturierinnen, die sie dazu bringen, kleine Mengen zu essen, hält sie jetzt am Leben.

“Rotspanier” in Konzentrationslagern

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Die “Rotspanier” empfangen die Amerikaner mit einem großen Banner: “Die spanischen Antifaschisten begrüßen die befreienden Mächte”.

Die kriegsgefangenen “Rotspanier” kamen zuerst in Kriegsgefangenenlager, die meisten in das Stalag V D in Straßburg. Im September 1940 befahl Hitler dann, die männlichen “Rotspanier” in Konzentrationslager zu deportieren. Die meisten der rund 10.000 für die Deportation vorgesehenen “Rotspanier” kamen in das KZ Mauthausen, wo die Mortalitätsrate durch die besonders brutalen Lebens- und Arbeitsbedingungen sehr hoch war. Einige kamen auch in andere KZ, wie Buchenwald und Dachau. Frauen und Kinder schickte das Regime nach Spanien zurück und übergab sie den dortigen Behörden; mit Ausnahme von rund 400 Frauen, die im KZ Ravensbrück inhaftiert wurden.

Im KZ Mauthausen hatten die “Rotspanier” die drittgrößte Häftlingsgruppe ausgemacht. Sie verhielten sich untereinander sehr solidarisch und es gab innerhalb ihrer Reihen auch organisierten Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror im Lager. Sie sorgten z.B. dafür, dass schwächere Häftlinge heimlich mit Nahrungsmitteln versorgt wurden, die von anderen unter größtem Risiko gestohlen wurden. Bei der Befreiung des KZ Mauthausen durch die amerikanischen Truppen am 4. Mai 1945 waren noch 2.184 “Rotspanier” am Leben. Zur Begrüßung der Befreier wurde ein großes Banner über das Eingangstor des KZ Mauthausen gehängt. Der spanische Häftling Francesc Teix hatte darauf in spanisch geschrieben: „Los españoles antifascistas saludan a las fuerzas liberadoras“ („Die spanischen Antifaschisten begrüßen die befreienden Mächte“).

1943/44

Die heimlich angefertigte Zeichnung der dänischen Widerstandskämpferin Astrid Blumensaadt-Pedersen zeigt eine Zwangsarbeiterin im “Siemenslager” mit rotem Winkel.

Im KZ Ravensbrück muss Olvido schwere Zwangsarbeit für die Siemens & Halske AG leisten. Sie ist als Schweißerin an der Herstellung von V2-Raketen beteiligt. Die Arbeit muss sie ohne Schutzmaske verrichten und so werden ihre Augen schwer geschädigt. Irma, eine Überlebende aus Österreich, erinnert sich später so an diese Arbeit: „Ganz Siemens hat erzeugt für die V 2, für die Wunderwaffe, die sie erhofft haben. Sehr kostbare Federn mit Platin-, Gold- und Silberkontakten wurden dort gestanzt, für Relais. Die kamen in die Halle 3 und wurden montiert und justiert. Mit den Fingern durften sie nicht berührt werden. Die Frauen haben es dort nicht länger ausgehalten als drei, vier Monate, dann waren sie mit den Nerven fertig.“ Einmal sieht Olvido, wie SS-Wachen Orangen schälen und essen. Die Wachen verprügeln sie mit der Begründung, dass Olvido sie angestarrt habe. Sie wird so schwer verletzt, dass sie schließlich ihr Gehör auf dem linken Ohr vollständig verliert.

Das Siemenslager

Die Siemens & Halske AG ließ im Jahr 1942 auf dem Gelände des KZ Ravensbrück das sogenannte “Siemenslager” errichten. Hier wurden ganz unterschiedliche Teile für den Einsatz in der deutschen Kriegswirtschaft produziert, darunter Feldtelefone, Radios, elektrische Spulen und andere Bauteile, die für U-Boote oder Waffen gebraucht wurden. Bevor die Häftlinge dort zur Zwangsarbeit eingeteilt wurden, mussten sie die “Siemensprüfung” ablegen, bei der sie auf ihre Tauglichkeit getestet wurden. Dabei sollten sie zeigen, dass sie die feinmechanischen Aufgaben, z.B. Spulen wickeln oder löten, auch gut erledigen können. Dafür, so glaubte man bei Siemens & Halske, waren besonders Frauen geeignet, die „geschickte Hände“ und „gute Augen“ hatten und auch „ein bisschen klug“ waren – auch das wurde, z.B. mit Fangfragen, “getestet”.

Die Arbeitsbedingungen im Siemenslager waren unmenschlich und entwürdigend. Die Frauen, die ohnehin schon durch die stundenlangen Appelle, die schlechte Ernährung und mangelnde medizinische und hygienische Versorgung im KZ geschwächt waren, wurden bei den elf oder zwölf Stunden langen Schichten noch größeren körperlichen Belastungen ausgesetzt. Arbeitsschutzmaßnahmen gab es für die Zwangsarbeiter:innen nicht, oder sie waren sehr mangelhaft. Zur Toilette durften sie nur in den Pausen, so erinnerte sich die Überlebende Rita später: „lm Gegensatz zu freien Arbeitskräften durften die Siemenshäftlinge nicht austreten, wenn sie dazu das Bedürfnis hatten. Es gab bestimmte Austretzeiten, während deren die Häftlinge reihenweise herausgehen konnten. Da fast alle Häftlinge infolge dauernder Erkältung und als Folge der unzureichenden Ernährung Blasenleiden oder chronischen Durchfall hatten, führte dieses zu einer furchtbaren, quälenden und demütigenden Tortur.”

Zeichnung
Die heimlich angefertigte Zeichnung der dänischen Widerstandskämpferin Astrid Blumensaadt-Pedersen zeigt eine Zwangsarbeiterin im “Siemenslager”, die an einer Spulenwickelmaschine sitzt und arbeitet.


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April 1945

Befreite Frauen aus dem KZ Ravensbrück erreichen das dänische Padborg, April/Mai 1945.

Als das Kriegsende da ist, haben drei der vier Asturierinnen aus Olvidos Gruppe den Krieg überlebt. Doch Leonor wurde in der Gaskammer ermordet. Olvido wird durch die humanitäre Rettungsaktion der “Weißen Busse” aus Ravensbrück gerettet. Sie wird nach Schweden evakuiert und zuerst mehrere Monate in einem Krankenhaus in Göteborg medizinisch versorgt, bevor sie in ein Sanatorium in Arcachon in Südfrankreich gebracht wird.

Mai 1946

Porträt Olvido, Ausschnitt aus Mitgliedskarte der FNDIRP (Fédération Nationale des Déportés et Internés Résistants et Patriotes), 1948.

Olvido lässt sich in Tarbes (Frankreich) nieder, denn in ihre Heimat Spanien kann sie nicht zurückkehren. Dort erreicht sie ein Brief ihres Bruders Celestino, in dem er ihr mitteilt, dass der Bruder seiner Frau, Gerardo Blanco, der auch aus ihrer Heimatstadt Gijón stammt, ebenfalls in Tarbes ist. Er ist erkrankt und Olvido beschließt, ihn gesund zu pflegen. Die beiden verlieben sich und wollen zusammenbleiben. Sie ziehen in ein kleines Haus in der Cité d’Urac in der ländlichen Umgebung von Tarbes. Olvido arbeitet als Näherin und Gerardo als Maurer.

Gerardos Geschichte

Gerardo Blanco wird mit neunzehn Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei und nimmt als republikanischer Soldat und Sanitäter am Spanischen Bürgerkrieg teil. 1936 heiratet er Anita und sie bekommen einen Sohn, den sie ebenfalls Gerardo nennen. Als seine Heimatstadt Gijón Ende Oktober 1937 bombardiert wird, flieht er auf dem Seeweg nach Frankreich, kehrt dann aber nach Spanien zurück und arbeitet bis zur endgültigen Niederlage der Republikaner:innen als Kranführer im Hafen von Barcelona. Im Februar 1939 überquert er zu Fuß die französische Grenze bei Le Perthus und ist fast ein Jahr in verschiedenen Internierungslagern inhaftiert: Saint Cyprien, Agde, Barcarés und Argèles sur Mer. Von 1940 bis 1943 arbeitet er in einer “Kompanie ausländischer Arbeiter” (CTE) in Carcassonne.

Im Juli 1943 wird er von den Deutschen verhaftet und von der Organisation Todt als Zwangsarbeiter zum Bau des U-Boot-Stützpunkts nach Lorient in der Bretagne geschickt. Über 20.000 Menschen sind hier beschäftigt, sehr viele von ihnen leisten Zwangsarbeit. Die Arbeit ist sehr hart und sie arbeiten in 12-Stunden-Schichten. Gerardo lebt in einem Zwangsarbeiterlager, dem sogenannten Lager “Franco”. Gerardos Ehe wurde nach dem Sieg Francos von den Nationalist:innen aberkannt und Anita heiratet erneut, nachdem sie jahrelang keinen Kontakt zu Gerardo hat und nicht weiß, ob er noch am Leben ist. Als Frankreich von den Alliierten befreit wird, ist Gerardo körperlich sehr geschwächt. Zum Glück erfährt sein Schwager, dass eine alte Freundin der Familie ganz in seiner Nähe ist, und er lernt Olvido kennen, die ihn gesund pflegt. Seinen Sohn Gerardo, den er verlassen musste, als dieser noch ein Baby war, sieht er erst als 24 Jahre alten Mann wieder, als dieser ihn im Exil besucht.

Weitere Hintergrundinformationen zu Gerardos Lebensweg, darunter zu den Internierungslagern und der Zwangsarbeit für die Organisation Todt, gibt es hier.


Das Dokument der Hafenverwaltung Barcelonas von 1938 weist Gerardo als Mitarbeiter am Hafen aus.

1950er Jahre

Olvido (rechts) in Tarbes. Die Frau links ist unbekannt.

Olvido und Gerardo bleiben in Tarbes und bekommen drei Kinder: Eloína, Manuel und Amelie. 1956 ziehen sie in ein Mietshaus in einem kleinen, aber schönen Viertel, in dem die Stadt Sozialwohnungen bauen ließ. Dort leben viele spanische Exilanten. 22 Jahre, nachdem Gerardo aus Spanien fliehen musste, sieht er zum ersten Mal seine Mutter Amelia wieder, die ihn zusammen mit seiner Schwester und seinem Schwager in Tarbes besucht.

Januar 1963

Das “Certificat de Réfugié”, ausgestellt durch die französische Ausländerbehörde, weist Gerardo im Jahr 1955 als Flüchtling aus.

Die Familie will jetzt, von ihren Verwandten ermutigt, in ihre Heimat Gijón zurückkehren. Am 21. Dezember 1962 heiraten Olvido und Gerardo und lassen ihre drei Kinder taufen, um sich vor den Repressalien Francos zu schützen. Dann, nur wenige Tage später, steigen Gerardo, Manuel und Amelie in den Zug nach Spanien. Sie kommen erst einmal bei Gerardos Mutter unter. Olvido und ihre Tochter Eloína können erst ein paar Monate später nach Spanien einreisen, weil es noch Probleme mit Olvidos Pass gibt.

Februar 1963

Gerardo Blanco, ca. 1950er Jahre.

Gerardo möchte wieder am Hafen von El Musel arbeiten, wo er schon gearbeitet hat, bevor der Spanische Bürgerkrieg ausgebrochen war. Doch das ist nicht so einfach. Er muss mehrere Garantien vorlegen, um seine Arbeit wieder aufnehmen zu können: eine eidesstattliche Erklärung darüber, dass er nicht strafrechtlich verfolgt wurde, ein Führungszeugnis der Guardia Civil, eine Bürgschaft des örtlichen Pfarrers und weiteres mehr. Außerdem muss Gerardo sich noch jahrelang regelmäßig in der Kaserne der Guardia Civil melden. Das empfindet er als große Demütigung. Das Leben ist auch in Gijón nicht einfach, doch Olvido und Gerardo geben nicht auf. Sie setzen sich weiter für ihre Ideale, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ein.

1950er Jahre

Olvido stellt mit Hilfe eines französischen Rechtsanwalts einen Antrag auf Entschädigung auf Grundlage des Bundesentschädigungsgesetzes, der von der Entschädigungsbehörde in Köln bearbeitet wird. Nach einem langwierigen Verfahren wird sie als Verfolgte des NS-Regimes anerkannt und bekommt durch einen gerichtlichen Vergleich mit dem Land Nordrhein-Westfalen eine Entschädigungszahlung sowie eine lebenslange Rente zugesprochen. Sie erhält außerdem eine Entschädigungszahlung für Zwangsarbeit von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).

Wiedergutmachung für “Rotspanier”

Das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) war das in Deutschland maßgeblich angewandte Gesetz, durch das die vielen Menschen, die durch nationalsozialistische Verfolgung Schäden erlitten hatten (z.B. für Freiheitsentzug durch KZ-Haft), finanziell entschädigt werden sollten. So wurden beispielsweise Entschädigungen an jüdische Überlebende oder ihre Nachkommen ausgezahlt, die nach Israel oder in die USA ausgewandert waren.

Doch andere Verfolgtengruppen, die nach Kriegsende im Ausland lebten, schloss das BEG von Wiedergutmachungsansprüchen aus. Man nannte das “Territorialitätsprinzip”. Das betraf vor allem die vielen Millionen ehemaligen Zwangsarbeiter:innen, die ja meist nicht in Deutschland gelebt hatten, als das NS-Regime sie zur Zwangsarbeit verschleppt hatte und die nach dem Krieg auch sehr häufig wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren.

8. August 2001

Symbolbild: Überlebende beim 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Ravensbrück.

Olvido stirbt im Alter von 90 Jahren in ihrer Heimatstadt Gijón. Gerardo überlebt sie um vier Jahre und stirbt am 10. Februar 2005. Ihre Kinder und Enkel setzen sich bis heute für die Erinnerung an ihr Schicksal und das der verfolgten “Rotspanier” ein. Wenn man ihre Familie heute danach fragt, wie sie Olvido und Gerardo als Menschen beschreiben würden, dann sagen sie: Sie waren bescheiden und zurückhaltend, liebevoll und hilfsbereit. Olvido und Gerardo waren fleißig und arbeiteten viel – und sie blieben bis an ihr Lebensende kämpferisch.

31. März 2022

Der Stolperstein für Olvido Fanjul Camín, verlegt in Gijón 2022.

In der Straße Rufino García Sotura wird ein Stolperstein für Olvido verlegt. Es ist der erste, der in Gijón zum Gedenken an die 34 Verfolgten des NS-Regimes der Stadt verlegt wird. Die Inschrift lautet: “Hier lebte Olvido Fanjul Camín. Geboren im Jahr 1910. Im Exil in der Sowjetunion. Deportiert im Jahr 1943 nach Ravensbrück. Befreit.”

Autorin: Lena Knops

Wörtliche Zitate

Die Überlebenden Irma, Rita und Vallentina wurden wörtlich zitiert nach: projekt-ravensbrueck.com.

Onlinequellen

Hintergrundinformationen und Biografien von “Rotspaniern”: rotspanier.eu.

Podcast-Folge zu den “Rotspaniern” im KZ Mauthausen: deutschlandfunkkultur.de.

Zur Ausstellung „Rotspanier“, konzipiert von Dr. Peter Gaida und Dr. Antonio Muñoz Sánchez: http:rotspanier.net .

Zu den Niños de Rusia (Niños de La Guerra): www.ninosderusia.org/.

Sekundärliteratur

Brenneis, Sara J., Spaniards in Mauthausen. Representations of a Nazi Concentration Camp, 1940-2015, Toronto 2018.

Brenneis, Sara J./Herrmann, Gina (Hg.), Spain, the Second World War, and the Holocaust. History and Representation, Toronto u.a. 2001.

Herbert, Ulrich, Nach dem Bürgerkrieg. „Rotspanier“ im europäischen Exil.
Einführungsvortrag, Konferenz „Rotspanier“. Zwangsarbeiter in Hitlers Europa, Berlin, 28./29.10.2021, online verfügbar:
herbert.geschichte.uni-freiburg.de.

Lemmes, Fabian, Arbeiten in Hitlers Europa. Die Organisation Todt in Frankreich und Italien 1940–1945, Köln 2021.

Muñoz Sánchez, Antonio, “Rotspanier” vs. Bundesrepublik. Der Kampf der spanischen Zwangsarbeiter der Organisation Todt um ihre Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus (1956-1972), in: ZfG 3 (2021), S. 240-259.

BILDQUELLEN

Ausweis Hafenverwaltung Barcelona

Ausweis Hafenverwaltung Barcelona für Gerardo Blanco, 1938, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Einmarsch Wehrmacht Estland

Autor:in unbekannt, Einmarsch der Wehrmacht in Pärnu, Estland, 1941, EFA.37.0.172751, National Archives of Estonia, public domain.

Fabrik La Algodonera, Webstuhlabteilung

Fabrik La Algodonera, Webstuhlabteilung, 1925, 12742, Muséu del Pueblu d‘ Asturies, Gijón/Xixón.

Flüchtlingszertifikat Gerardo

Certificat de Réfugié Gerardo Blanco, 1955, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Gerardo 50er Jahre

Gerardo Blanco, ca. 1950er Jahre, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Gijón, Plaza del 6 de Agosto 1911

Autor:in unbekannt, Gijón, Plaza del 6 de Agosto, 1911, unverändert, Administración del Principado de Asturias, online verfügbar: memoriadigital.asturias.es. Lizenz: Lizenz: CC BY-NC 4.0.

Mitgliedskarte FNDIRP Olvido 1948

Mitgliedskarte FNDIRP für Olvido Fanjul Camín 1948, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Niños de Rusia

Gonzalo Barrena, Niños de Rusia, Leningrad 1938, unverändert, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: Lizenz: CC BY-NC 4.0.

Niños de Rusia in Puschkin

Niños de Rusia in Puschkin, mit freundlicher Genehmigung Asociación de los “Niños de Rusia”.

Olvido in Russland

Olvido Fanjul Camín in Russland, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Olvido in Tarbes

Olvido Fanjul Camín in Tarbes, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Olvido, Milagros, Julia

Olvido Fanjul Camín, Milagros, und Freundin Julia in Russland, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Propagandaplakat Socorro Rojo International

Propagandaplakat des Socorro Rojo International, public domain.

Propagandaplakat SRI Kinderheim

Propagandaplakat des Socorro Rojo International, public domain.

Rotspanier grüßen Befreier mit Banner, KZ Mauthausen

Mauthausen survivors cheer the soldiers of the Eleventh Armored Division of the U.S. Third Army one day after their actual liberation. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #68210. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Siemenslager

Tobias Nordhausen, Ehemaliges Siemenslager auf dem Gelände der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, 2012, unverändert, online verfügbar: flickr.com. Lizenz: Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0.

Schülerinnen in Gijón, 1920

Autor:in unbekannt, Schülerinnen in Gijón, 1920, unverändert, Administración del Principado de Asturias, online verfügbar: memoriadigital.asturias.es. Lizenz: Lizenz: CC BY-NC 3.0.

Skulptur Drei Frauen mit Bahre, Ravensbrück

Schumacher, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Plastik „Drei Frauen mit Bahre“ von Fritz Cremer, 1972, Bundesarchiv, Bild 183-L0225-0315, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.

Stolperstein für Olvido Fanjul Camín

Stolperstein für Olvido Fanjul Camín, 2022, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Weisse Busse Befreite

Autor:in unbekannt, FHM-236939, no known rights, Nationalmuseet Danmark, online verfügbar: samlinger.natmus.dk.

Zeichnung 1

Zeichnung von Astrid Blumensaadt-Pedersen, „Nachtschicht Doriiit!“, 1944/45, Buntstift auf Papier, 10,7 x 13,0 cm; Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Sammlungen, V936/4 E1, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.

Zeichnung 2

Zeichnung von Astrid Blumensaadt-Pedersen, ohne Titel, 1944/45, Buntstift auf Papier, 13,0 x 10,7 cm; Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Sammlungen, V936/27 E1, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.

Überlebende in Ravensbrück

Matthias Berg, Überlebende beim 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Ravensbrück, 2010, unverändert, online verfügbar: flickr.com. Lizenz: Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0.

Zivilisten unter Beschuss beim Spanischen Bürgerkrieg

Autor:in unbekannt, Zivilisten unter Beschuss beim Spanischen Bürgerkrieg, 1936, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, online verfügbar: wikimedia.org.

ZUSÄTZLICH VERWENDETES QUELLENMATERIAL AUF UNSEREN SOCIAL MEDIA KANÄLEN

Aachener Nachrichten, Der Krieg ist aus

Aachener Nachrichten, 08.05.1945, gemeinfrei.

American officers/POWs in Mauthausen

American officers/POWs in Mauthausen, RG Number: RG-60.2008, Accessed at United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of National Archives & Records Administration.

Ansicht vom Barackenlager, KZ Ravensbrück

Ansicht vom Barackenlager des Frauen – KZ Ravensbrück mit Barackenreihen 1 bis 3 und Lagerstraße 1; vorn das Dach des Garagentraktes, dahinter die Schornsteine der Häftlingsküche, um 1940, Fotograf/in unbekannt, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Montage aus den Fotos-Nr. 1642 und 1643.

Deutsche Soldaten in Warschau 1939

German soldiers parade through Warsaw to celebrate the conquest of Poland. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #09866. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Frontansicht, KZ Mauthausen

The entrance to the SS compound at Mauthausen. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #10379. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Gerardo 50er Jahre, Version 2

Gerardo Blanco, ca. 1950er Jahre, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Guernica, Ruinen

Autor:in unbekannt, Guernica, Ruinen, 1937, Bundesarchiv, Bild 183-H25224, unverändert, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: CC-BY SA 3.0 DE.

Himmler und Franco, 1940

Autor:in unbekannt, Spanien, Heinrich Himmler bei Franco, Oktober 1940, unverändert, Bundesarchiv, Bild 183-L15327, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.

Hitler und Goebbels bei der UFA

Autor:in unbekannt, Besuch von Hitler und Goebbels bei der UFA, 1935, Bundesarchiv, Bild 183-1990-1002-500, online verfügbar: wikimedia.org, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.

Internierungslager Argelès-sur-Mer, Version 1

Albert Belloc, Première toilette au camp de concentration d’Argelès-sur-Mer, Februar 1939, unverändert, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Internierungslager Argelès-sur-Mer, Version 2

Albert Belloc, Habitations de fortune dans le camp de concentration d’Argelès-sur-Mer, März 1939, unverändert, online verfügbar:
wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Internierungslager Argelès-sur-Mer, Version 4

Auguste Chauvin, Au camp d’Argelès-sur-Mer, Februar 1939, unverändert, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Kapitulation von Republikanern

Autor:in unbekannt, Kapitulation der republikanischen Milizionäre in Somosierra, Madrid, Spanien, 1936, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, online verfügbar: wikimedia.org, public domain.

KZ Mauthausen, Zwangsarbeiter im Wiener Graben

Prisoners at forced labor in the Wiener Graben quarry at the Mauthausen concentration camp. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #71210. Courtesy of Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Legion Condor

Autor:in unbekannt, Spanien, Flugzeug der Legion Condor, 1939, Bundesarchiv, Bild 183-C0214-0007-013, unverändert, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.

Mitgliedskarte FNDIRP Olvido 1946

Mitgliedskarte FNDIRP für Olvido Fanjul Camín 1946, Privateigentum Familie Blanco, Gijón/Spanien.

Propagandaplakat der “Confederación Nacional des Trabajo” (CNT)

Propagandaplakat der CNT, public domain.

Rotspanier grüßen Befreier mit Banner, KZ Mauthausen

Mauthausen survivors cheer the soldiers of the Eleventh Armored Division of the U.S. Third Army one day after their actual liberation. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #68210. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Rotspanier zerstören Reichsadler bei Befreiung KZ Mauthausen

Spanish survivors take down the Nazi eagle that hangs above the entrance to the SS compound in Mauthausen on the day of liberation. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #74558. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Schreiben Siemens & Halske AG

Schreiben Siemens & Halske AG an KZ Ravensbrück vom 27.11.1943, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.

Spanische Flüchtlinge, Camp de Barcarès

Albert Belloc, Arrivés des réfugiés républicains du camp d’Argelès-sur-Mer à celui du Barcarès, März 1939, unverändert, online verfügbar: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 4.0 DEED.

WEITERE FÄLLE

Eleonore "Lore"
Wolf

Martha
Muchow

Alexandra
Povòrina

Natalija
Radtschenko

Heinrich
Diehl