GESCHICHTE

Unter dem Tarnnamen “Aktion Reinhardt” plante das NS-Regime in den Jahren 1942 und 1943 den systematischen Massenmord an Jüdinnen und Juden im heutigen Polen, das zu dieser Zeit von der deutschen Wehrmacht besetzt war und von ihnen als “Generalgouvernement” bezeichnet wurde. Sie errichteten drei Vernichtungslager in diesem Raum: Belzec, Sobibor und Treblinka. Das Vernichtungslager Sobibor (polnisch: Sobibór) lag im südöstlichen Polen und sah auf den ersten Blick, wie erst im Jahr 2020 aufgetauchten Fotos bestätigten, aus wie eine hübsche, kleine Siedlung: Bauernhäuser mit Spitzdächer, ordentlich beschnittene Hecken, geharkte Kieswege und Blumenbeete. Drum herum stand ein bewachter Zaun.

SYSTEMATISCHER MASSENMORD

In dieser äußerlichen Idylle wurden die schrecklichsten Gräueltaten verübt. Den erschöpften Menschen, die nach einer oft stunden- oder sogar tagelangen Reise in Viehwaggons ankamen, wurde zunächst alles, was sie bei sich hatten, abgenommen. Dann wurde ihnen gesagt, dass sie in Arbeitslager kämen, zuerst müssten sie aber duschen. Sie wurden dann in Richtung eines Schildes mit der Aufschrift “Bad” geschickt, einen langen Gang, den “Schlauch”, hinunter. Am Ende des Ganges waren die Gaskammern, die als Duschräume getarnt waren. Die Menschen wurden dort mit Motorabgasen erstickt. Häftlinge, die zur Zwangsarbeit bestimmt worden waren, mussten die leblosen Körper nach Wertgegenständen absuchen, ihre Goldzähne herausbrechen, ihnen die Haare abschneiden und sie schließlich in Massengräber werfen. Auch diese “Funktionshäftlinge” wurden regelmäßig ermordet und durch neue ersetzt, denn sie waren zu Mitwissern geworden.

Das Lager

Das Lager war in drei verschiedene Bereiche aufgeteilt: Zone I mit der Eisenbahnrampe, daneben Unterkunftsbaracken für die Wachleute sowie ein Lager mit Häftlingsunterkünften und Werkstätten. Zone II war der Aufnahmebereich für die Häftlinge. Dort wurde ihnen ihr ganzer Besitz abgenommen. In Zone III befanden sich die Gaskammern und Massengräber.

Aufstand und Massenflucht

Im Juli 1943 ordnete Heinrich Himmler die Umwandlung Sobibors in ein Konzentrationslager an, in dem erbeutete Munition sortiert und gelagert werden sollte. Aber unter den Häftlingen hatte sich das Gerücht gehalten, dass das Lager liquidiert werden sollte. Vor diesem Hintergrund kam es am 14. Oktober 1943 zu einem Aufstand mit anschließender Massenflucht. Die Aufständischen töteten zwölf SS-Angehörige und zwei ukrainische Wachleute und versuchten, in den nahegelegenen Wald zu fliehen. Viele Aufständische wurden bei dem Fluchtversuch getötet. Heute sind 47 Personen namentlich bekannt, die den Aufstand und die Massenflucht überlebten. Alle anderen Häftlinge, denen die Flucht nicht geglückt war, wurden von den SS-Männern erschossen. Danach wurden alle Gebäude auf dem Lagergelände zerstört, zur Tarnung Bäume gepflanzt und neue Bauernhäuser errichtet. Im Vernichtungslager Sobibor sind mindestens 250.000 Menschen, hauptsächlich polnische Jüdinnen und Juden, ermordet worden.

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Johann Niemann

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Auf dem Foto ist Johann Niemann zu sehen, stellvertretender Lagerkommandant im Vernichtungslager Sobibor, beteiligt an tausendfachem Mord. Er wurde während des Aufstands am 14. Oktober 1943 von dem Häftling Arkadij Schubajew mit einer Axt getötet.

Fotosammlung

Ein Nachkomme Niemanns fand 49 Fotos vom Vernichtungslager Sobibor und machte diese im Jahr 2020 der Öffentlichkeit zugänglich. Erst seitdem ist neben den Zeugenaussagen auch im Bild belegt, wie es in Sobibor wirklich aussah. Von den Gräueltaten ist auf den Fotos nichts zu sehen. Sie zeigen das gut gelaunte Personal beim geselligen Zusammensein, beim Musizieren oder Schach spielen.

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MEHR ERFAHREN: JAKOB VAN HODDIS

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Hans Davidsohn, vielen besser bekannt als Jakob van Hoddis, schrieb Gedichte, die ihn zu einem herausragenden Künstler des literarischen Expressionismus machten. Auf dem Zenit seines Erfolgs erkrankt er – es wird eine Schizophrenie diagnostiziert. Das NS-Regime sieht keinen Nutzen und keinen Wert darin, ihn am Leben zu lassen. Er und seine Mitpatient:innen werden gemeinsam mit jenen Pflegekräften, die sie zuvor noch in der israelitischen Kuranstalt Bendorf-Sayn versorgt hatten, deportiert. Hans wird im Mai oder Juni 1942, wahrscheinlich im Vernichtungslager Sobibor, von den Nationalsozialisten ermordet.

Autorin: Lena Knops

BILDQUELLEN

Sobibor, Vorlager vom Wachturm aus gesehen

View of the Vorlager (the German living quarters), as seen from the watchtower at the Sobibor camp entrance, spring 1943. Sobibor perpetrator collection, Item 2020.8.1_001_010_0005. Courtesy of Bildungswerk Stanislaw-Hantz. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Sobibor, Vorlager

View of the Vorlager (the German living quarters) at Sobibor, spring 1943. Sobibor perpetrator collection, Item 2020.8.1_001_010_0011. Courtesy of Bildungswerk Stanislaw-Hantz. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Sobibor, Johann Niemann

A staged photograph of Johann Niemann on horseback in the summer of 1943. Sobibor perpetrator collection, Item 2020.8.1_001_011_0023. Courtesy of Bildungswerk Stanislaw-Hantz. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Sobibor, Personal auf der Terrasse des Kasino

Arthur Dachsel, Franz Reichleitner, Johann Niemann, possibly Erich Schulze, Erich Bauer, two unidentified female kitchen employees, and an unidentified member of the Customs Border Guard (Zollgrenzschutz) (from left to right) on the terrace of the new officers‘ dining room (known as the „Kasino“) in Sobibor, 1943. Sobibor perpetrator collection, Item 2020.8.1_001_011_0011. Courtesy of Bildungswerk Stanislaw-Hantz. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.