VORGESCHICHTE: EXIL IN FRANKREICH AB 1933

Photograph of Hannah Arendt in 1933
Auch die politische Theoretikerin Hannah Arendt flüchtete 1933 nach Paris.

Die Machtübernahme der Nationalsozialist:innen im Deutschen Reich 1933 zwang tausende Menschen zur Flucht. Neben London und Prag wurde Frankreich und insbesondere Paris zum Zentrum der Zuflucht. Zahlreiche Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Autor:innen kamen nach Paris und in das Fischerdorf Sanary-sur-Mer an der Côte d’Azur, das sich zwischen 1933 und 1940 zum Treffpunkt für berühmte Schriftsteller:innen und Künstler:innen entwickelte. Auch die Kommunistin Lore Wolf ging nach Frankreich ins Exil. Ein großer Teil der Geflüchteten war jüdisch. Eine homogene Gruppe bildeten sie jedoch nicht.

Die Situation der nach Frankreich Geflüchteten war oftmals prekär. Nur wenigen gelang eine schnelle Integration in den französischen Arbeitsmarkt, viele hatten keine oder kaum Ersparnisse. Auch die Sprachbarriere war für viele problematisch. Hinzu kam, dass Frankreichs Asylpolitik über die Jahre immer restriktiver wurde. Ende 1938 wurde eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um “unerwünschte Ausländer” zu internieren. Bereits ein Jahr später wurden mehr als 20.000 Menschen in Lager gebracht. Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich bedeutete für die Geflüchteten einen tiefen Einschnitt.

Kriegserklärung Frankreichs

Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Nach einer kleineren Offensive Frankreichs gegen das Saargebiet folgte zunächst eine Phase der Ruhe, der sogenannte „Sitzkrieg“ entlang der Maginot-Linie. Diese Periode endete mit dem deutschen Überfall auf die neutralen Staaten Niederlande, Belgien und Luxemburg am 10. Mai 1940. Drei Tage später überquerten deutsche Truppen die Maas und besetzten am 14. Juni 1940 Paris.

10 Downing Street
Britische Soldaten in ihrem Unterstand mit dem Namen „10 Downing Street“ während des „Sitzkrieges“, November 1939.

Einmarsch der deutschen Wehrmacht
und Teilung Frankreichs

Paris, Avenue Foch, Siegesparade
Deutsche Siegesparade auf der Avenue Foch vor dem Arc de Triomphe in Paris, 14. Juni 1940.

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris im Juni 1940 unterzeichnete der Ministerpräsident Frankreichs, Henri Philippe Pétain, am 22. Juni 1940 einen Waffenstillstandsvertrag mit dem Deutschen Reich. In dem Vertrag wurde die Teilung Frankreichs in zwei Zonen festgelegt: Eine von den Deutschen besetzte Nordzone und eine vermeintlich „freie“ Südzone. Die Nordhälfte Frankreichs – einschließlich der Industriegebiete sowie der Atlantikküste – unterstand fortan einer in Paris residierenden deutschen Militärverwaltung unter General Otto von Stülpnagel. Die ostfranzösischen Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle wurden als Gebiet “Elsaß-Lothringen” vom NS-Regime annektiert. Ein Gebiet im Südosten Frankreichs wurde von Italien besetzt. Nach der Annektion des Gebietes “Elsaß-Lothringen” begannen die Machthaber:innen mit der massiven Germanisierung und Nazifizierung. Für die Bevölkerung wurden die Wehrpflicht und die Hitlerjugend-Pflicht eingeführt und Gemeinden und Straßen umbenannt. Deutsch wurde zur Amts- und Unterrichtssprache, französisch in der Öffentlichkeit verboten. Auf dem Gebiet wurde außerdem das KZ Natzweiler-Struthof errichtet.

In der besetzten Nordzone versuchten die deutschen Besatzer:innen, mit einem Minimum an militärischem und verwaltungsmäßigem Aufwand Frankreich zu regieren. Dazu setzten sie gerade einmal 1.200 Beamte und Offiziere ein. Das setzte voraus, dass die französische Bevölkerung entsprechend kollaborierte und sich fügte. Ziel der Besatzung war es, Rohstoffe und Industrie des Landes für die deutschen Kriegszwecke auszubeuten. Um die deutsche Kriegswirtschaft zu entlasten, wurde die Wirtschaftskraft Frankreichs fast gänzlich auf die Bedürfnisse des Deutschen Reichs eingestellt.

Unbesetzter Teil Frankreichs:
Das Vichy-Regime

Im von der Wehrmacht zunächst unbesetzten Süden wurde der südfranzösische Kurort Vichy zum Sitz der neuen französischen Regierung unter Henri Philippe Pétain. Nachdem Pétain am 10. Juli 1940 von der französischen Nationalversammlung die Vollmacht zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung übertragen bekommen hatte, machte er sich legal zum „Chef d’État“ („Chef des französischen Staates“) mit uneingeschränkten Vollmachten. Fortan regierte er autoritär über die Südzone. Seine Regierung wird rückblickend als „Vichy-Regime“ bezeichnet. Dem Vichy-Regime unterstanden ungefähr 40 Prozent des französischen Staatsgebiets mitsamt den Kolonien.

Zunächst hatte die Bevölkerung Frankreichs die Hoffnung, dass Pétain sie vor Übergriffen und übermäßigen Forderungen der Deutschen schützen würde. Das Vichy-Regime arbeitete jedoch mit den deutschen Besatzer:innen zusammen („Kollaboration“). Es betrieb eine autoritäre und antisemitische Politik und verfolgte politische Gegner:innen, insbesondere Kommunist:innen und Freimaurer:innen, aber auch Sinti:zze und Rom:nja sowie “Ausländer”. Pressezensur, ein ausgeprägter “Führerkult” und extreme Fremdenfeindlichkeit prägten die Politik Pétains. Dabei agierte das Regime teils auch ohne deutschen Druck. So erließ es zwei Statute, die den Ausschluss von Jüdinnen:Juden aus dem öffentlichen Leben vollzogen. Als die Nazis im Sommer 1942 begannen, Jüdinnen:Juden aus Frankreich zu deportieren, arbeitete die Vichy-Regierung bereitwillig an der Deportation, insbesondere von nicht-französischen Jüdinnen:Juden, mit.

Mehr als 70.000 Jüdinnen:Juden wurden bis 1944 aus Frankreich in die Vernichtungslager deportiert. Nur 2.560 kehrten zurück. Doch auch in der Bekämpfung der Résistance sowie bei der Rekrutierung von Zwangsarbeitern für die deutsche Besatzungsmacht wirkte das Vichy-Regime aktiv mit.

Nach der Landung der Alliierten in Nordafrika marschierte die deutsche Wehrmacht im November 1942 auch in den bislang unbesetzten Teil im Süden Frankreichs ein. Von nun an bestand das Vichy-Regime auf militärisch besetztem Gebiet. Der zunehmende Terror der Deutschen gegenüber der französischen Bevölkerung führte – zusammen mit der Judenverfolgung und der ab 1943 beginnenden Zwangsrekrutierung – zu wachsender Ablehnung des Vichy-Regimes und den Deutschen. Die Résistance gewann immer mehr an Zulauf.
 

Henry Philippe Petain und Adolf Hitler
Henry Philippe Pétain und Adolf Hitler, 24. Oktober 1940.

Service du Travail Obligatoire (STO)

Paris, Werbung für Arbeit in Deutschland
Paris, Werbung für Arbeit in Deutschland, Februar 1943.

Nach der Besetzung versuchte das nationalsozialistische Deutschland, französische Arbeitskräfte für die deutsche Kriegswirtschaft anzuwerben. Der Erfolg blieb jedoch gering. Im Februar 1943 führte das Vichy-Regime auf Druck Deutschlands eine Verordnung ein, die alle französischen Männer der Geburtsjahrgänge 1920 bis 1922 zur Zwangsarbeit in Deutschland verpflichtete: Den Service du Travail Obligatoire (STO). Die Zwangsrekrutierungen führten zu landesweiten Protesten und Streiks. Viele Franzosen gingen in den Untergrund oder flohen ins Ausland, um dem STO zu entgehen. Rund 25.000 Männer schlossen sich der Résistance und den Maquis (Partisanengruppen) an. 390.000 französische Männer wurden jedoch nach Deutschland verschleppt und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Kaum eine Maßnahme des Vichy-Regimes stieß auf derart großen Widerstand in der eigenen Bevölkerung.

Landung in der Normandie

Bereits im Mai 1943 hatten der britische Premier Winston Churchill und der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt eine Invasion Frankreichs beschlossen. Ziel war es, mit einem Angriff eine neue Front im Westen zu eröffnen, um einen schnelleren militärischen Zusammenbruch Deutschlands zu bewirken. In der Nacht zum 6. Juni 1944 startete die Operation „Overlord“. Der später als „D-Day“ bezeichnete Tag markiert den Beginn der Landung der Alliierten in der Normandie. Rund 150.000 Amerikaner, Briten, Franzosen, Polen, Kanadier und weitere Commonwealth-Angehörige landeten an den Stränden der Normandie.

Während die Alliierten im Hinterland strategisch wichtige Punkte besetzten, glaubte Hitler nach wie vor, dass die Invasion der Normandie ein reines Täuschungsmanöver sei. Er ging davon aus, dass die Alliierten eher an der schmalsten Stelle des Ärmelkanals landen würden. Entsprechend unvorbereitet war die deutsche Wehrmacht. Bis Ende Juni erhöhte sich die Zahl der alliierten Truppen auf knapp eine Million Soldaten und 150.000 Fahrzeuge – eine Zahl, der die deutsche Wehrmacht ohne Verstärkung und Nachschub nicht gewachsen war. Zusätzlich störten Sabotageaktionen der Résistance-Kämpfer:innen das deutsche Verkehrs- und Kommunikationsnetz. Dennoch dauerte es noch bis Ende Juli, bis die Amerikaner die deutsche Front bei Avranches durchbrachen.

Landings on Utah beach
Amerikanische Truppen rücken auf Utah Beach an der Nordküste Frankreichs vor, 6. Juni 1944.

Der Vormarsch der Alliierten

The British Army in Normandy 1944
Zerstörter deutscher Transporter und zerstörte Panzer auf einer Straße im Raum Falaise-Argentan, 21. August 1944.

Ende Juli 1944 wurde auch Hitler deutlich, dass die Invasion in der Normandie kein wie von ihm zuvor angenommenes Täuschungsmanöver war. Interventionen waren zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät und Gegenmanöver der Wehrmacht blieben erfolglos. Obwohl Hitler dem deutschen Staatskommandanten von Paris, General Dietrich von Choltitz, befahl, Paris zu verteidigen oder „nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen“ zu lassen, konnte die Stadt am 25. August 1944 von den Alliierten kampflos befreit werden. Charles de Gaulle bildete eine provisorische Regierung.

Anfang September war Frankreich von alliierten Truppen zurückerobert. Wenige Tage später betraten erstmals amerikanische Truppen das deutsche Reichsgebiet. Auch Résistance-Angehörige waren an der Befreiung Frankreichs beteiligt. Im September 1944 starben insgesamt 20.000 bis 30.000 Résistance-Mitglieder bei Kämpfen oder durch Exekutionen.

Kriegsverbrechen der Deutschen

Die deutsche Wehrmacht verübte zahlreiche Kriegsverbrechen in Frankreich. Besonders brutal gingen Angehörige der Waffen-SS im Jahr 1944 vor. Nachdem in der Südzone Résistance-Angehörige ganze Städte und Dörfer befreit hatten, verübten die Deutschen Kriegsverbrechen an der französischen Bevölkerung. Eines der grausamsten Verbrechen beging die Waffen-SS-Division „Das Reich“. In der zuvor befreiten Stadt Tulle in Oradour-sur-Glane ließen sie aus Rache für die bei der Befreiung getöteten Soldaten zunächst 99 Männer öffentlich hängen. Drei Tage später ermordeten sie weitere 642 Männer, Frauen und Kinder. Trotz direkt im Anschluss erfolgender Vertuschungsversuche der Deutschen wurde das Massaker von Oradour-sur-Glane nach der Befreiung zum nationalen Symbol des Leidens unter der deutschen Besatzung.

Ruinen von Oradour-sur-Glane
Ruinen des während des Massakers zerstörten Dorfes Oradour-sur-Glane.

Nach der Befreiung

Members of the French resistance display the sign of victory beside a woman whose hair was shorn
Résistance-Angehörige mit Frau, deren Haare geschoren und deren Gesicht mit einem Hakenkreuz bemalt wurde, 27. August 1944.

Nach der Befreiung Frankreichs von der deutschen Besatzung und dem Vichy-Regime folgten in zahlreichen Städten und Gemeinden Racheaktionen der französischen Bevölkerung. Sowohl diejenigen, die mit den Deutschen kollaboriert hatten, als auch jene Französinnen, die intensive Kontakte oder Beziehungen zu deutschen Soldaten gehabt hatten, wurden bestraft. Als „horizontale Kollaboration“ wurde die Beziehung von Französinnen zu deutschen Besatzern bezeichnet. Tausende Kollaborateure wurden standrechtlich erschossen, den Frauen die Haare geschoren und sie durch die Straßen gejagt. Rund 200.000 Kinder stammten aus Beziehungen zwischen Französinnen und deutschen Besatzern.

Autorin: Sarah Frecker

SEKUNDÄRLITERATUR

Bildungsportal NS-Zwangsarbeit, Service Travail Obligatoire (STO), online verfügbar: bildung-ns-zwangsarbeit.de.

Erkenbrecher, Andrea, Das Massaker in Oradour-sur-Glane, in: Deutsches Historisches Museum (30. Mai 2024), online verfügbar: dhm.de.

KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Frankreich unter deutscher Besatzung (o. J.), online verfügbar: media.offenes-archiv.de.

Schweinoch, Oliver, Exil in Frankreich, in: Deutsches Historisches Musseum (19. Juli 2024), online verfügbar: dhm.de.

Scriba, Arnulf, Das deutsche Besatzungsregime in Frankreich, in: Deutsches Historisches Museum (19. Mai 2015), online verfügbar: dhm.de.

Scriba, Arnulf, Die Landung in der Normandie 1944, in: Deutsches Historisches Museum (02. Juli 2021), online verfügbar: dhm.de.

Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945 e.V., Elsass und Lothringen, in: Gedenkorte Europa 1939–1945 (o. J.), online verfügbar: dhm.de.

BILDQUELLEN

10 Downing street

Quellenangabe: Keating, Geoffrey John, The British Army in France, 28.11.1939, IWM (O 345), IWM Non-Commercial licence.

Henry Philippe Petain und Adolf Hitler

Hoffmann, Heinrich, Henry Philippe Petain und Adolf Hitler, 24. Oktober 1940, Bundesarchiv, Bild 183-H25217, online verfügbar: wikipedia.org, Lizenz: CC-BY-SA 3.0.

Landings on Utah beach

Wall, Landings on Utah beach, 6 Juni 1944, gemeinfrei.

Members of the French resistance display the sign of victory beside a woman whose hair was shorn

Autor:in unbekannt, Members of the French resistance display the sign of victory beside a woman whose hair was shorn, 27. August 1944. United States Holocaust Memorial Museum #81865. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park.

Paris, Avenue Foch, Siegesparade

Folkerts, Paris, Avenue Foch, Siegesparade, 14. Juni 1940,Bundesarchiv, Bild 183-L05487, online verfügbar: wikipedia.org, Lizenz: CC-BY-SA 3.0.

Paris, Werbung für Arbeit in Deutschland

Autor:in unbekannt, Paris, Werbung für Arbeit in Deutschland, Februar 1943, Bundesarchiv, Bild 183-2002-0225-500, online verfügbar: wikipedia.org, Lizenz: CC-BY-SA 3.0.

Photograph of Hannah Arendt in 1933

Autor:in unbekannt, Photograph of Hannah Arendt in 1933, in: Young-Bruehl, Elisabeth Yale University Press Hannah Arendt: For Love of the World, 1933, online verfügbar: wikimedia.org, gemeinfrei.

Ruinen von Oradour-sur-Glane

Dennis Nilsson, Ruinen von Oradour-sur-Glane, 11 Juni 2004, public domain.

The British Army in Normandy 1944

Mapham J (Sgt), No 5 Army Film & Photographic Unit, The British Army in Normandy 1944, IWM (B 9583).