“Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums”

Am 7. April 1933 erließ die nationalsozialistische Regierung im Deutschen Reich das “Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums”. Der Name ist irreführend, denn ein Berufsbeamtentum gab es bereits. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Maßnahme der neuen Diktatur, die sicherstellen sollte, dass ausschließlich Anhänger:innen des Nationalsozialismus Zugang zu staatlichen und städtischen Ämtern bekamen.

Das neue Gesetz bewirkte, dass Menschen, “die nicht arischer Abstammung” waren oder “die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten” entlassen wurden. Außerdem waren Entlassungen zur “Vereinfachung der Verwaltung” möglich, was zusätzlich den Weg frei machte für die willkürliche Entfernung von unerwünschten Personen. Rund zwei Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst waren betroffen.

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Der jüdische Notar und Rechtsanwalt Dr. Werner Liebenthal erhielt 1933 Berufsverbot.

Folgen für die Universitäten

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Über dem Eingang der Universität Erlangen hängt 1938 der Schriftzug “Juden sind hier nicht erwünscht”

Das Berufsbeamtengesetz war das erste von insgesamt vier Gesetzen zwischen 1933 und 1939, das gravierende Folgen für die Wissenschaft in Deutschland hatte. Rund 20% des Personals an deutschen Universitäten wurde aufgrund rassistischer und politischer Motive entlassen oder vertrieben. Von den betroffenen Personen waren 80% jüdisch, jüdischer Abstammung oder mit jüdischen Menschen verheiratet. Nur wenige Einzelpersonen und ganze zwei Fakultäten sprachen sich gegen die Entlassungen aus. So veröffentlichte die Medizinische Fakultät Heidelberg im April 1933 eine Erklärung, in der sie auf den großen wissenschaftlichen Beitrag hinwies, den jüdische Mediziner:innen im Deutschen Reich geleistet hätten.

Wie die wenigen anderen Proteste blieb auch dieser völlig unbeachtet. Die Vertreibung von jüdischen Wissenschaftler:innen fand im Gegenteil oft Unterstützung, insbesondere von jüngeren Menschen. Der Grund ist offensichtlich: Aufsteigende Akademiker:innen hofften auf die frei werdenden Stellen.

Folgen für Wissenschaftler:innen

Etwa 40% der entlassenen Wissenschaftler:innen verblieb weiterhin im Deutschen Reich. Wie es für sie weiterging, war sehr unterschiedlich. Wer von den Nazis als “Jude” kategorisiert worden war oder durch kritische Äußerungen auffiel, litt unter den fortschreitenden Verfolgungen und wurde im schlimmsten Fall ermordet. Einigen Betroffenen aus den naturwissenschaftlichen Bereichen gelang es aufgrund der hohen Nachfrage, Arbeit in der Privatwirtschaft zu finden. Doch nicht wenigen erschien die Lage angesichts ihrer Entlassung und der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen so hoffnungslos, dass sie sich das Leben nahmen.
Eine knappe Mehrheit der betroffenen Wissenschaftler:innen wanderte aus, häufig in die USA oder nach Großbritannien. Die Chancen auf Arbeit an den dortigen Universitäten waren für diejenigen gut, die sich bereits international einen Namen gemacht hatten, gut vernetzt waren und Englischkenntnisse hatten. Doch selbst wenn mit der Flucht Sicherheit vor der wachsenden Gefahr durch den Nationalsozialismus verbunden war, stellte sie für die Betroffenen einen großen persönlichen Bruch dar. Längst nicht alle verkrafteten diesen problemlos.

Heute noch bekannt sind vor allem die Erfolgsgeschichten und Berühmtheiten unter den Ausgewanderten, so zum Beispiel Albert Einstein, Max Born, Lise Meitner und Theodor Adorno. Sie stehen stellvertretend für den massiven Verlust, den die deutsche Wissenschaftslandschaft durch die nationalsozialistische Verfolgung erlitt. Insgesamt flohen 24 Nobelpreisträger:innen aus Deutschland und Österreich. Von ihren Forschungen profitierten dann die Kriegsgegner der Nationalsozialist:innen, was selbst Hermann Göring 1942 öffentlich bedauerte.

Nach dem Ende der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs bemühten sich die deutschen Universitäten – auch auf Anweisung der Besatzungsmächte – darum, Wissenschaftler:innen zurückzugewinnen, die ins Exil gegangen waren. Nur wenige folgten dem Ruf. Bis in die 1960er Jahre kehrten knapp 15% der emigrierten Hochschullehrer:innen zurück nach Deutschland.

Einwanderungsurkunde_Albert_Einstein_1936
Die Einwanderungsurkunde von Albert Einstein in die USA, Januar 1936.

Sekundärliteratur

Grüttner, Michael, The Expulsion of Academic Teaching Staff from German Universities, 1933–45, in: Journal of Contemporary History 57 (2022), S. 513–533.

Grüttner, Michael / Kinas, Sven, Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), S.123-186.

MEHR ERFAHREN: MARTHA MUCHOW

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Martha forscht und lehrt als Psychologin an der Universität Hamburg. Sie ist sehr engagiert, sowohl für ihre Studierenden als auch für Kinder und Jugendliche aus der Arbeiterschicht. Wie ihr Chef, der berühmte Psychologe William Stern, sieht sie in jedem Menschen besondere Begabungen. Doch als die Nationalsozialist:innen an die Macht kommen, gilt sie als Feindin des neuen Regimes. Marthas Werte und ihr gesellschaftliches Engagement sind ihnen ein Dorn im Auge. Sie wird verleumdet und entlassen, ihr Institut und damit ihre geistige Heimat aufgelöst. Martha verliert ihren wichtigsten Lebensinhalt und schließlich auch ihren Lebensmut.

Autorin: Alina Besser

Online-Quellen

Artikel “Arierparagraph” des Deutschen Historischen Museums auf LeMO dhm.de/lemo/.

Artikel “Gleichschaltung” des Deutschen Historischen Museums auf LeMO dhm.de/lemo/.

Deutsche Welle Beitrag “Wissenschaftler unterm Hakenkreuz”: dw.com.

Bildquellen

Einwanderungsurkunde Albert Einstein 1936

Declaration of Intention for Albert Einstein 1936, Junkyardsparkle/Wikimedia, public domain, online abrufbar unter: wikimedia.org.

Martha Muchow um 1930

Fotograf:in unbekannt, Martha Muchow um 1930, unknown rightsholder, erstmals erschienen in: Die Frau (1934).

Schild Liebenthal Rechtsanwalt 1933

Etan J. Tal, LiebenthalRechtsanwalt2, CC-BY-SA 3.0, online abrufbar unter: wikimedia.org. Lizenz: Lizenz: CC BY-SA 3.0.

View of Nürnberger Tor 1938

Fotograf:in unbekannt, View of Nürnberger Tor Erlangen, 1938, United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Stadtarchiv und Stadtmuseum Erlangen, Bild Nr. 04366, public domain, online abrufbar unter: collections.ushmm.org.