Der Swing als populäre, eingängige und tanzbare Stilrichtung des Jazz hat seinen Ursprung in den USA der 1920er und 1930er Jahre. In den Anfängen formten vor allem Schwarze Menschen den Swing. Doch bald eigneten sich Weiße Musiker die Musikrichtung an. Ihnen gelang es, die Musik zu popularisieren, zu kommerzialisieren und schließlich auch zu beherrschen. Der Swing begeisterte viele, weil dazu gut getanzt werden konnte. Er war innovativ und beliebt, denn er verband Kunst und Unterhaltung. Wegen seiner Eingängigkeit belächelte manch “echter” Jazzliebhaber den Swing aber auch. Der Erfolg des Swings war eng verknüpft mit der Entstehung von größeren Orchestern, den Big Bands. Die Big Bands von Glenn Miller oder Benny Goodman sind bis heute weltweit bekannt.
Benny Goodman (3. von links) im Kreise einiger seiner früheren Bandmitglieder
Das Trocadero in Hamburg, hier um 1938, ist ein beliebter Treffpunkt der swingliebenden Jugend
Auf Tonträgern und durch Live-Auftritte kam die beliebte Musik nach Europa. Es bildeten sich Orchester nach dem amerikanischen Big Band-Vorbild. Eines der bekanntesten war das des Schweizers Teddy Stauffer, der in den 1930er Jahren auch im Hamburger Trocadero auftrat. Diese Orchester übernahmen amerikanische Musikstücke, entwickelten die moderne Tanzmusik aber auch weiter und gaben ihr damit eine “eigene Note”. Trotz vielfältiger Anstrengungen wie Verbote, Diskriminierungen, Hetze, Entwertung als „undeutsch“, Zensur und Verfolgung der Fans der Swingmusik gelang es den Nationalsozialisten nicht, die Verbreitung der Swingmusik in Deutschland zu verhindern. Eine wichtige Rolle spielte dabei die swingbegeisterte Jugend, die die Musik hörte, obwohl sie sich damit zunehmend zur Zielscheibe machte. Nach 1945 hatte die Swingmusik nach wie vor viele Anhänger:innen. Doch bald zog der Rock ’n‘ Roll die jüngeren Generationen in seinen Bann.
Der Swing kam als populäre, tanzbare Variante des Jazz aus den USA und faszinierte in ganz Europa Jugendliche. In Deutschland waren vor allem bürgerliche Jugendliche swingbegeistert, aber auch Jugendliche aus anderen Milieus hörten Swing und tanzten dazu. Es war eine großstädtische Jugendsubkultur. Insbesondere in dem sich als weltoffen und anglophil verstehenden Hamburg entwickelte sich eine lebendige Szene. Trotz repressiver Maßnahmen und Verunglimpfungen der Musik als „entartet“ und „undeutsch“ konnten die Nationalsozialisten nicht verhindern, dass Jugendliche Swing hörten, sich trafen und dazu tanzten.
Swing im Alsterpavillion, Hamburg
Hamburger Swingfans beim Ausflug, 1940
„Swing-Jugend“ war keine Selbstbezeichnung der Jugendlichen, sondern eine Bezeichnung, mit der die Nationalsozialisten eine moderne Jugendsubkultur stigmatisierten. Die Gründe, weshalb die Nationalsozialisten Günter Discher und andere Jugendliche verfolgten, waren kultureller Art. Die Leidenschaft der Jugendlichen für den Swing mit seinen afroamerikanischen Ursprüngen, ihre Sehnsucht nach individueller Freiheit, ihr unangepasster Lebensstil und das Lebensgefühl, für das sie standen, passten nicht in die rassistische Weltanschauung und das enge Korsett des auf Härte, Disziplin und Opferbereitschaft ausgerichteten nationalsozialistischen Erziehungsideals. Diese Jugendlichen mit ihrer Faszination für die Musik aus dem englischsprachigen Raum und ihrem eigenen Stil waren damit nicht politisch im engeren Sinne. Sie provozierten aber durch ihr extravagantes, teilweise gewitztes und ausgefallenes Auftreten die Nationalsozialisten. Im Zweiten Weltkrieg verschärfte sich die Lage der swingliebenden Jugendlichen, die trotz allem ihrer Musik treu blieben, sich privat und in Clubs trafen und tanzten und sich damit aus Sicht der Nationalsozialisten als „zersetzend“ verhielten. Immer häufiger wurden die Jugendlichen verraten und auch verhaftet.
Die Nationalsozialisten konstruierten aus einem privaten Vergnügen, einem Lebensstil und -gefühl ein in erster Linie oppositionelles Verhalten, das sie mit aller Härte verfolgten. Nicht alle swingbegeisterten Jugendlichen wurden verhaftet. Manche kamen “nur” für ein paar Tage, Wochen oder Monate in ein Gefängnis oder in ein Konzentrationslager. Wieder andere teilten das Schicksal von Günter Discher und verschwanden für Jahre hinter Mauern – ein Schicksal, das nicht alle überlebten.
Die „Swing-Jugend“ war keine reine Jungensache. Auch Mädchen und junge Frauen liebten und lebten den Swing – und wurden dafür verfolgt. Stellvertretend werden hier Charlotte Heile und Astrid Riebau vorgestellt.
Charlotte Heile kam 1926 in Bremen auf die Welt und wuchs in Altona, heute Hamburg-Altona, auf. Ab 1941 ging Charlotte auf die Kunsthochschule am Lerchenfeld. Mit einer Weggefährtin stellte sie ein Plakat mit Texten und Zeichnungen zusammen, die den Nationalsozialismus kritisierten. Dieses Plakat war eine Antwort auf einen Zeitungsartikel, in dem die Nationalsozialisten gegen die „Swing-Jugend“ hetzten. Die Swing-Jugendlichen nannten es die „Rolle“ und zeigten es auf Tanzveranstaltungen. 1942 verhaftete die Gestapo Charlotte. Die „Rolle“ fanden sie nicht. Charlottes Mutter hatte sie versteckt, übergab sie dann aber der Gestapo, nachdem sie die Texte entfernt hatte. Nach drei Wochen im Polizeigefängnis in Hamburg-Fuhlsbüttel kam Charlotte nach Hause. Das Hochschulverbot, das gegen Charlotte während der Haft verhängt wurde, wurde zwar aufgehoben, doch 1945 verließ die junge Frau die Kunsthochschule ohne Abschluss. Bis zu ihrem Tod lebte Charlotte in Hamburg.
Astrid Riebau wurde 1927 in Hamburg geboren. Nach der Trennung der Eltern blieb sie bei der Mutter. Mit den Großeltern wohnten sie zunächst in Altona, dann in Wandsbek-Gartenstadt. Der neue Mann, den Astrids Mutter 1932 kennenlernte und 1939 heiratete, war für Astrid wie ein leiblicher Vater. 1934 wurde Astrid eingeschult, 1938 wechselte sie auf die Mittelschule in Wandsbek, ab 1940 ging sie auf das Lyzeum „Horst-Wessel-Straße“. Sie mied den Bund deutscher Mädels und lernte über eine Clique den Swing kennen und lieben. Die Jugendlichen grüßten sich auf Englisch, hörten bei ihren Treffen Musik, meistens englischsprachige Titel, und tanzten dazu. Das Erlebnis, das durch die Swingmusik möglich wurde, stand für Astrid im Kontrast zur langweiligen Tanzstunde. Mit der „Kinderlandverschickung“ kam Astrid an den Tegernsee. Sie hielt aber den Kontakt zu ihrem Freundeskreis, indem sie Briefe auf Englisch schrieb. Das meldete die Lehrerin. Astrid musste zurück nach Hamburg. Im Frühjahr 1942 wurde Astrid zunächst vom Bund deutscher Mädel verhört, ob sie englische Musik hören und dazu tanzen würde.
Die Ablehnung afroamerikanischer Musik hatte ihre Wurzeln im bürgerlichen Nationalismus des Deutschen Kaiserreichs, in dem die Angst vor dem „Fremden“ im Allgemeinen und vor einer Amerikanisierung der deutschen Kultur im Speziellen zentral war. Diese Grundhaltung verarbeiteten die Nationalsozialisten. Denn sie verstanden sich nicht nur als politische, sondern auch als kulturelle Bewegung, die sich gegen die Kultur der Moderne richtete. Moderne, avantgardistische Kunst und Musik verunglimpften die Nationalsozialisten als „undeutsch“ und „entartet“.
Hans Severus Ziegler, Staatsrat und Generalintendant des Deutschen Staatstheaters zu Weimar, stellte eine Ausstellung zusammen, die 1938 in Düsseldorf eröffnet und danach in Weimar, München und Wien präsentiert wurde. In dieser Ausstellung wurde offen gegen die Musik der Moderne und ihre Komponisten gehetzt. Der Hass richtete sich gegen – in der Sprache der Nationalsozialisten – „nicht-arische“, vor allem jüdische Musiker_innen, aber auch „arische“ Künstler_innen, deren Werke als „undeutsch“ entwertet wurden und die keinen Platz mehr im „deutschen“ Musikleben haben sollten. Die Nationalsozialisten verabscheuten den Jazz und den Swing, die als Musikrichtungen unter Jugendlichen besonders beliebt waren. Das Titelbild der ausstellungsbegleitenden Broschüre visualisiert die rassistische Ideologie, die die Schau prägte. Zu sehen ist die Karikatur eines afroamerikanischen Jazzmusikers mit Saxophon, der zusätzlich einen “Judenstern” trägt.
Titel der Begleitbroschüre zur Ausstellung „Entartete Musik“, 1939
In der Bundesrepublik Deutschland veränderte die Erforschung der Alltagsgeschichte den Blick auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Neben die Held:innen des Widerstands wie die politischen Untergrundkämpfer:innen oder den studentischen Kreis der „Weißen Rose“ traten nun die Menschen, die sich auf niedrigschwelliger Ebene dem System verweigerten. Es schärfte die Wahrnehmung der Menschen, die aufgrund ihrer politischen, sozialen, religiösen oder kulturellen Prägungen eine Distanz zum Nationalsozialismus behielten oder aufbauten. Es wurden diejenigen gewürdigt, die einen Schritt weiter gingen und diese Vorbehalte nicht nur im Privaten pflegten, sondern sich durch nicht-konformes Verhalten dem System verweigerten, indem sie zum Beispiel Kontakte, Freundschaften und Netzwerke weiterpflegten.
Mit der Erforschung des Alltags im „Dritten Reich“ wurden die Spielräume deutlich, die sich den Menschen damals trotz allem oft boten, um ihre Ablehnung zu zeigen. In diesem Zuge gerieten Verweigerung, Unangepasstheit, Opposition und Widerstand der Jugendlichen zwischen 1933 und 1945 ins Blickfeld. Jugendliche aus allen Milieus stellten sich gegen den Nationalsozialismus: Für Jugendliche aus dem Arbeitermilieu führte der Weg in den Widerstand häufig über die sozialdemokratischen, sozialistischen oder kommunistischen Netzwerke. Diese fußten in der Regel auf Organisationen aus der Weimarer Republik, die nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 verboten und deren Mitglieder als politisch Andersdenkende verfolgt wurden. Bei oppositionellen Jugendlichen aus einem eher bürgerlichen Umfeld spielten Freundschaften und informelle Zusammenschlüsse eine wichtige Rolle.
Auf dem Bild zu sehen: Bruno Himpkamp war Anhänger der “Swing-Jugend” sowie Mitglied der Weißen Rose in Hamburg Mit zunehmender Verfolgung agierte auch die Hamburger “Swing-Jugend” politischer.
Günther Discher baut sich als Jugendlicher im „Dritten Reich“ seine erste Schallplattensammlung auf. Er lernt andere Hamburger Jugendliche kennen, die wie er den Jazz und den Swing lieben. Doch bald gerät diese Jugend in den Fokus der Nationalsozialisten, die den Swing als „undeutsch“ ablehnen. Für Günther hat das dramatische Folgen: Er wird verhaftet und kommt in das Jugend-KZ Moringen, wo er wie seine Mitinsassen Zwangsarbeit leisten muss. Nach dem Krieg bleibt der Swing Günthers Leidenschaft: Er sammelt Tonträger und legt als DJ Schallplatten auf.
Autorin: Dr. Ann-Katrin Thomm
Alliierter Ausweis Bruno Himpkamp
Theodosios, Alliierter Ausweis von Bruno Himpkamp für ehemalige politische Häftlinge, 2004, online verfügbar: commons.wikimedia.org, Lizenz: CC BY-SA 3.0 Unported.
Alliierter Ausweis Günther Discher
Alliierter Ausweis Günther Discher, mit freundlicher Genehmigung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Benny Goodman
Fred Palumbo, Benny Goodman at rehearsal with his new group, 1952, New York World-Telegram and the Sun Newspaper Photograph Collection (Library of Congress), gemeinfrei, online verfügbar: loc.gov/pictures/item/2002695233/.
Entartete Musik
Hans Severus Ziegler, Titel der Begleitbroschüre zur Ausstellung „Entartete Musik“, 1939, gemeinfrei, online verfügbar: archive.org
Hamburger Swingfans beim Ausflug
Hamburger Swingfans beim Ausflug, 1940, Barmbeker Schallarchiv.
Hamburg, Trocadero
Hamburg, Trocadero, um 1938, Barmbeker Schallarchiv.
Swing im Alsterpavillon
Swing im Alsterpavillon 1942 mit der holländischen Band von John Kristel, Barmbeker Schallarchiv.
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