"ENTARTETE KUNST"

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Kunst, die aus ästhetischen, politischen oder rassischen Gründen nicht zu ihrer Ideologie passte, wurde von den Nationalsozialist:innen abgelehnt und als “entartet” gebrandmarkt. Hitler gefielen möglichst naturalistische, romantische Landschaften oder Historiengemälde. Davon abweichende Kunstrichtungen, wie die Klassische Moderne, der Expressionismus, Kubismus, Dadaismus oder die Neue Sachlichkeit, galten als “undeutsch”.

Die so bezeichnete “entartete” Kunst wurde von den Nationalsozialist:innen geraubt – und danach zerstört, eingetauscht, eingelagert, übermalt oder irgendwie zu Geld gemacht. Man geht davon aus, dass ca. 20.000 Kunstwerke von ca. 1.400 Künstler:innen von diesen “Säuberungsaktionen” betroffen waren.

Das hier abgebildete Werk „Der Turm der blauen Pferde“ von Franz Marc wurde im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und ausgestellt. Später hat es sich Hermann Göring angeeignet. Es gilt heute als verschollen.

KUNST ALS PROPAGANDAMITTEL

“Entartete Kunst” wurde für nationalsozialistische Propaganda missbraucht und in Ausstellungen der Öffentlichkeit gezeigt, mit dem Ziel, die Besucher:innen mit einer nationalsozialistischen Ästhetik zu indoktrinieren, alles davon abweichende zu diffamieren und insbesondere die schaffenden Künstler:innen zu erniedrigen. Die mit rund zwei Millionen Menschen überaus gut besuchte Ausstellung “Entartete Kunst” mit über 600 Kunstwerken wurde am 19. Juli 1937 in München eröffnet und danach noch in mehreren Städten gezeigt. Sie war als “Schreckenskammer” konzipiert worden.

Die Kunstwerke, eng und chaotisch zusammengehängt, dazwischen Hassparolen auf die Wände geschrieben, sollten abstoßend auf die Besucher:innen wirken. Bestehende, kleinbürgerliche Vorurteile gegenüber moderner Kunst wurden auf diese Weise von den Nationalsozialist:innen genutzt und verstärkt. Parallel zur Eröffnungsausstellung wurde der Öffentlichkeit das nationalsozialistische Ideal vorgeführt: In der “Großen Deutschen Kunstausstellung”, ebenfalls in München.

Hier zu sehen ist der Ausstellungsführer “Entartete Kunst”.

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VERFOLGTE KÜNSTLER:INNEN

Die Nationalsozialist:innen strebten die Gleichschaltung von Kunst und Kultur an und unterstellten dem Reichspropagandaministerium die sogenannten Reichskulturkammern, in denen Bereiche wie Musik, Film, Theater, und auch die bildenden Künste, entsprechend organisiert und kontrolliert wurden.

Alle Kunst- und Kulturschaffenden mussten zwingend in diese Kammern eintreten, um in den jeweiligen Bereichen überhaupt arbeiten zu können. Eine Nichtaufnahme oder ein Ausschluss aus der Kammer bedeuteten ein Tätigkeits- und Ausstellungsverbot sowie den Verlust der Kranken- und Sozialversicherung. Dies kam einem Berufsverbot gleich.

JÜDISCHE KÜNSTLER:INNEN

Eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft in einer der Kammern war der “Ariernachweis”. Jüdische Künstler:innen wurden von vornherein systematisch aus dem deutschen Kunst- und Kulturbetrieb ausgeschlossen. Es spielte keine Rolle, welchen künstlerischen Stil sie verfolgten, ob sie Expressionist:innen oder Kubist:innen waren, ob sich ihre Kunst erfolgreich verkaufte oder nicht, ob sie in der Kunstwelt etabliert waren oder nicht. Jüdische Künstler:innen wurden als Jüdinnen und Juden verfolgt und ermordet.

KURZBIOGRAFIEN JÜDISCHER KÜNSTLER:INNEN DER HAMBURGER SEZESSION

ALMA DEL BANCO

Alma del Banco wurde 1862 in Hamburg geboren. Sie war eine etablierte und erfolgreiche deutsche Malerin der Moderne. Alma malte zunächst viel im Freien und war später auch eine begehrte Porträtmalerin. Sie stammte aus einer assimilierten jüdischen Familie und trat 1935 aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus. Auf diese Weise erhielt sie zunächst Zutritt zur Reichskunstkammer, wurde jedoch 1938 aufgrund ihres jüdischen Hintergrundes ausgeschlossen. 13 ihrer Bilder wurden für die Ausstellung “Entartete Kunst” geraubt. Nur eines dieser Bilder, das “Bildnis Pastor Hunzigers” ist bis heute erhalten geblieben. Alma löste ihr Atelier auf und zog zu ihrem Bruder Sigmund. Dort wurde sie unter Hausarrest gestellt. Mit 80 Jahren, im März 1943, erhielt sie den Deportationsbefehl nach Theresienstadt. Um der Deportation zu entgehen, beging sie wenige Tage später Suizid.

ANITA RÉE

Anita Rée wurde 1885 in Hamburg in eine alteingesessene, jüdisch-assimilierte Familie geboren und wie ihre Schwester Emilie als Kind evangelisch-lutherisch getauft. Der Maler Max Liebermann erkannte ihr Talent und riet ihr zu einer Ausbildung in der bildenden Kunst. Sie wurde eine Malerin der Avantgarde und erhielt große Anerkennung für ihre Porträts und Wandbilder.

Später teilte sie sich ein Atelier mit Friedrich Ahlers-Hestermann und Franz Nölken, in den sie sich unerwidert verliebte. Die Ateliergemeinschaft löste sich auf und Anita setzte ihre Studien in Paris fort. Als die Nationalsozialist:innen an die Macht kamen, diffamierten sie Anitas Kunst und zerstörten ihr Wandbild “Die klugen und törichten Jungfrauen”. Vier ihrer Werke wurden für die Ausstellung “Entartete Kunst” geraubt. Durch die nationalsozialistischen Anfeindungen tief verletzt und vereinsamt, wurde Anita in den Suizid getrieben. Sie starb 1933 auf der Insel Sylt.

KURT LÖWENGARD

Kurt Löwengard (geb. 1895) stammte aus einer jüdisch-assimilierten und liberalen Hamburger Familie, als Kind wurde er evangelisch getauft. Sein Vater Alfred war ein bekannter Architekt. Kurt studierte am Bauhaus in Weimar und entwickelte sich bald zu einem anerkannten und auch wirtschaftlich erfolgreichen freischaffenden Künstler. Er fertigte Holz- und Linolschnitte, Plakate und viele Aquarelle an. Wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde seine Ausstellung im Hamburger Kunstverein geschlossen.

Zwei seiner Aquarelle, beides Landschaften, wurden im Zuge der “Entartete Kunst”-Ausstellung geraubt und später zerstört. Mit der Absicht, in die USA zu emigrieren, ging Kurt im Mai 1939 zunächst nach England und kam bei Verwandten in London unter. Dort konnte er kaum mehr Werke verkaufen und hatte große Existenzsorgen. Seinen Besitz hatte Kurt im Hamburger Hafen per Schiff aufgegeben, doch die Fracht hatte ihn nie erreicht. Ebenso wenig wie eine kleine Erbschaft, die die Nationalsozialist:innen auf einem Sperrkonto einfroren. Die Emigration in die USA konnte er aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen. Kurt erkrankte und starb am 8. Januar 1940 in London. Ein großer Teil seines Werkes gilt als verschollen.

INNERE EMIGRATION

Auch nicht-jüdische bildende Künstler:innen wurden von den Nationalsozialist:innen ausgeschlossen, verfemt und verfolgt. Unter den diffamierten Künstler:innen waren Persönlichkeiten wie Max Beckmann, Otto Dix, Max Ernst, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee und Käthe Kollwitz, deren Kunst heute als wegweisend oder sogar revolutionär gilt und weltweit verehrt wird; aber auch viele Künstler:innen, die heute weitgehend unbekannt sind. Ihre Kunst wurde öffentlich missachtet, sie selbst systematisch ausgegrenzt, z.B. durch Berufs- und Ausstellungsverbote und den Ausschluss aus Künstlerorganisationen und Vereinen.

Künstler:innen, die ins Exil getrieben wurden, hatten oft Schwierigkeiten, ihre Karrieren in einem anderen kulturellen Umfeld wieder aufzunehmen. Andere entschieden sich, oder waren dazu gezwungen, in Deutschland zu bleiben und lebten in der sogenannten “Inneren Emigration”. Darunter zählt man Menschen, insbesondere Künstler:innen und Schriftsteller:innen, die innerlich eine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus hatten und sich nicht davon vereinnahmen lassen wollten, aber auch nicht in offenen Widerstand gingen. Auch der Schriftsteller Erich Kästner wird in diesem Zusammenhang genannt.

Einige Künstler:innen befassten sich mit Motiven, die den Nationalsozialist:innen als “unbedenklich” galten, z.B. Landschaften und Porträts. Manche arbeiteten im Geheimen weiter an der Kunst, die sie eigentlich schaffen wollten. Im “Blauen Haus” der Malerin und Kunstsammlerin Hanna Bekker vom Rath in Hofheim am Taunus fanden verfemte Künstler:innen Unterschlupf und auf Wunsch auch den Raum zum künstlerischen Schaffen. Unter den Gästen waren bedeutende deutsche Künstler:innen wie Else und Ludwig Meidner, Ernst Wilhelm Nay oder Emy Roeder. Hier fanden auch Ausstellungen statt, bei denen die verfemte Kunst gezeigt wurde, natürlich nur im privaten Rahmen. Mit diesen Ausstellungen brachten sich alle beteiligten Personen in Gefahr.

Willi Baumeister

„Kann der verhinderte Maler ein Schlupfloch finden, eine Orgelröhre, aus der sein letzter Ton pfeift? Kunst ist keine Beschäftigung, Kunst beschäftigt immerwährend den Künstler.”
Willi Baumeister, Künstler

VERSCHOLLENE GENERATION

Mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurde offensichtlich, dass die Nationalsozialist:innen eine ganze Generation von Künstler:innen in ihrem freien Schaffen massiv gehindert hatten. Dies betraf primär die Generation der um die Jahrhundertwende Geborenen, die eine erste Schaffensperiode in der Zwischenkriegszeit erlebten und zum Teil schon lokale Bekanntheit erlangt hatten.

Diese Künstler:innen wurden seit der nationalsozialistischen Machtübernahme u.a. durch Zensur, Arbeitsverbote, Diffamierungen und Verfolgung so folgenreich in ihrer Entwicklung und ihrem Schaffen gehindert, dass man von ihnen auch als der “verschollenen Generation” spricht. Der Begriff wurde von dem Kunsthistoriker Rainer Zimmermann geprägt. Man spricht alternativ auch von der “vergessenen Generation”.

Hinzu kommt, dass viele Werke nicht nur durch mutwillige Zerstörung, sondern auch durch Kriegseinwirkungen wie Bombenangriffe für immer verloren gingen. Aber auch nach Kriegsende verbesserte sich die Situation vieler Künstler:innen häufig nicht so einfach. Oft konnten sie nicht an ihre frühere Schaffenszeit anknüpfen. Die Verluste waren insgesamt so hoch, dass viele Namen und Werke in Vergessenheit geraten sind. Institutionen wie Museen und Galerien versuchen immer wieder, dem entgegenzuwirken und erinnern bis heute regelmäßig an die Künstler:innen der verschollenen Generation.

MEHR ERFAHREN: ALEXANDRA POVÒRINA

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Alexandra Povòrina ist Künstlerin. Zum Missfallen der Nationalsozialist:innen malt sie nicht-gegenständliche Bilder. Manche nennen das “abstrakte Malerei”. Die Nationalsozialist:innen nannten es “entartete Kunst”. Noch dazu ist sie gebürtige Russin – Grund genug, immer wieder auf den Radar des Regimes zu geraten. Welche Wege eine Künstlerin der sogenannten “verschollenen Generation” für ihre von den Machthabern nicht gewollte Kunst gehen musste, davon erzählt ihre Geschichte.

Autorin: Lena Knops

ONLINEQUELLEN

Das Gesamtverzeichnis der 1937 in deutschen Museen beschlagnahmten Werke der Aktion “Entartete Kunst”, Datenbank der FU Berlin: fu-berlin.de

Das Zentrum für verfolgte Künste: verfolgte-kuenste.com

Kurzbiografie Alma del Banco: stolpersteine-hamburg.de und dasjuedischehamburg.de

Kurzbiografie und Werk Anita Rée: hamburger-kunsthalle.de

Kurzbiografie Kurt Löwengard: stolpersteine-hamburg.de und dasjuedischehamburg.de

SEKUNDÄRLITERATUR

Frank Bajohr, Von der Ausgrenzung zum Massenmord. Die Verfolgung der Hamburger Juden 1933–1945, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hg.), Hamburg im „Dritten Reich“, Göttingen 2005, S. 471–518.

Benz, Wolfgang/Eckel, Peter/Nachama, Andreas (Hg.), Kunst im NS-Staat. Ideologie, Ästhetik, Protagonisten, Berlin 2015.

Bruhns, Maike, Anita Rée. Das Werk, München 2018.

Bruhns, Maike, Anita Rée. Leben und Werk einer Hamburger Malerin, 1885-1933, Hamburg 2001.

Bruhns, Maike, Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil 1933-1945, Bremen 2007.

Bruhns, Maike, Gretchen Wohlwill. Eine jüdische Malerin der Hamburgischen Sezession, Hamburg 1989.

Bruhns, Maike, Kunst in der Krise. 2 Bände: Hamburger Kunst im “Dritten Reich”. Künstlerlexikon Hamburg 1933-1945, Hamburg/München 2001.

Bruhns, Maike, Kurt Löwengard (1885-1940). Ein vergessener Hamburger Maler, Hamburg 1989.

Rump, Kay (Hg.), Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs, ergänzt und überarbeitet von Maike Bruhns, Neumünster 2013.

BILDQUELLEN

Alexandra im Kölner Atelier, Version 1

Hannes Maria Flach, Alexandra Povòrina im Atelier Goltsteinstraße, Köln 1933, gemeinfrei.

Alma del Banco

Ernst Eitner mit der Hamburger Malschule Röver, Neustadt/Holstein 1897, gemeinfrei, online verfügbar: commons.wikimedia.org.

Alma del Banco, Japanerin

Alma del Banco, Japanerin, um 1910, gemeinfrei.

Anita Rée, Selbstbildnis

Anita Rée, Selbstbildnis, 1930, gemeinfrei.

Ausstellungsführer

© Deutsche Fotothek / Richter, Regine, unverändert, online verfügbar: deutschefotothek.de, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Franz Marc, Der Turm der blauen Pferde

Franz Marc, Der Turm der blauen Pferde, 1913, gemeinfrei.

Kurt Löwengard, Selbst mit Maske, 1933

Kurt Löwengard, Selbst mit Maske, 1933, gemeinfrei.

Willi Baumeister

Willi Baumeister in Berlin, 1927, unverändert, Willi Baumeister Stiftung, online verfügbar: willi-baumeister.org, Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0 DE.