Als die Deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion angriff, handelte sie nach Hitlers Vorstellung, die dortige Bevölkerung zu versklaven und “Lebensraum im Osten” zu erobern. Als erfundenes Feindbild diente die „bolschewistische Gefahr aus dem Osten“, die den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion rechtfertigen sollte. Die slawische Bevölkerung Osteuropas galt im Rassenwahn der Nationalsozialist:innen als “Untermenschen”. Die Folge war der Massenmord an jüdischen und kommunistischen Zivilist:innen durch SS-, Polizei- und Wehrmachtseinheiten.

Auch in der Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen zeigte sich diese menschenverachtende Ideologie. Nach den Genfer Konventionen, die das Deutsche Reich 1934 unterzeichnet hatte, standen Kriegsgefangene unter Schutz. Sie mussten die gleiche Versorgung erhalten wie die eigenen Soldat:innen, und Arbeit war nur gegen Entlohnung und nicht in der Rüstungsindustrie erlaubt. Nichts davon hielt die Wehrmacht im Falle der sowjetischen Kriegsgefangenen ein. Die Wehrmachtsführung schob als Grund vor, dass die Sowjetunion ihrerseits die Genfer Konventionen nicht unterschrieben hatte. Trotzdem hätte das Deutsche Reich sich daran halten müssen, es handelte also rechtswidrig. Mehrfach lehnte Adolf Hitler das Angebot Josef Stalins ab, sich an die “Haager Landkriegsordnung” von 1907 zu halten. Damit versagte er auch seinen eigenen Soldaten den Schutz eines Abkommens.


Stalag Winnica, Ukraine Juli 1941

Von ca. 5,7 Millionen Rotarmist:innen in deutscher Gefangenschaft starben 3,3 Millionen, also 58%. Sie wurden ermordet oder starben an Hunger, Kälte, Seuchen und Entkräftung. Unter britischen und US-amerikanischen Soldaten, denen gegenüber die Wehrmacht sich weitgehend korrekt verhielt, lag die Sterberate bei 3,5%. Das Massensterben der sowjetischen Soldat:innen wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern absichtlich herbeigeführt. Die sogenannten “Russenlager” bestanden oft nur aus eingezäunten Wiesen ohne Schlafplätze oder Sanitäranlagen. Trotz harter körperlicher Arbeit gab es äußerst geringe Essensrationen. In Auschwitz “testete” die SS den systematischen Mord durch Vergasung mit Zyklon B zuerst an einer Gruppe sowjetischer Kriegsgefangener.

Frauen in der Roten Armee

Russische-Gefangene-1941
Originalbeschriftung: “Mitten zwischen den Gefangenen Sowjetsoldaten steht eine Frau – auch sie hat es aufgegeben, weiteren Widerstand zu leisten. – Es ist ein Flintenweib und zugleich Sowjetkommissarin, die als die verbissensten Heckenschützen die Sowjetsoldaten bis zum letzten Widerstand antreiben.”

Zwischen 800.000 und eine Million Frauen kämpften im Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Armee. Zum größten Teil gehörten sie dem Sanitätsdienst an, doch Soldatinnen gab es in allen Waffengattungen, insbesondere in der Luftwaffe. Bewaffnet sein konnten auch Sanitäterinnen, denn zu ihren Aufgaben an der Front gehörte es, Verwundete unter Einsatz ihres eigenen Lebens vom Schlachtfeld zu tragen und in Sicherheit zu bringen. In das Frauenbild der Nationalsozialist:innen passten weibliche Kämpferinnen absolut nicht. Sie nannten sie abfällig „Flintenweiber“ oder sprachen von „Frauen in Uniform“, aber nicht von Soldatinnen. Diesen Status wollten sie Frauen nicht zugestehen. Die Rotarmistinnen waren aus Sicht der Nazis „entartete“ Frauen, denen sie besondere Grausamkeit nachsagten, und ein Symbol des „Bolschewismus“. So rechtfertigten sie Gewalttaten, die sich ausdrücklich gegen diese Gruppe richteten. Dazu gehörten schwere Misshandlungen und sofortige Erschießungen bei Gefangennahme. Für Rotarmistinnen, die nicht Opfer von Exekutionen wurden, führte die Kriegsgefangenschaft meist in die Zwangsarbeit oder in ein Konzentrationslager.

In den Lagern waren die Frauen der Roten Armee durch ihren besonderen Zusammenhalt bekannt. Besonders die erste Gruppe von Rotarmistinnen, die am 27. Februar 1943 im KZ Ravensbrück ankam, beeindruckte die anderen Häftlinge durch ihr geschlossenes Auftreten: “Das große eiserne Tor klirrt. Sie kommen! Wir sehen sie noch nicht, aber gleichmäßige, stramme Marschschritte dringen an unser Ohr. Und dann sehen wir im Dunkeln die Silhouetten eines Trupps von ca. 500 Rotarmistinnen einmarschieren, in Reihe und Glied, in großer Ruhe und Disziplin”, erinnerte sich die in Ravensbrück inhaftierte Grete Staby.

Entschädigung

Lange erkannte Deutschland die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen nicht als Opfer des Nationalsozialismus an. Das lag zum Teil daran, dass sich lange Zeit der Mythos der “sauberen” Wehrmacht hielt, die nicht an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sei. Dem stand die unmenschliche Behandlung der Rotarmist:innen entgegen. Als Begründung wurde außerdem angegeben, dass es nach den Genfer Konventionen erlaubt war, Kriegsgefangene zu Arbeiten heranzuziehen. Im Jahr 2000 begann die Stiftung “Erinnerung, Verantwortung, Zukunft” (EVZ) damit, Entschädigungen an ehemalige Zwangsarbeiter:innen auszuzahlen; 20.000 Anträge von ehemaligen Rotarmist:innen wurden abgelehnt. Erst im Mai 2015, nachdem auch der damalige Bundespräsident Joachim Gauck öffentlich den Umgang mit den ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen verurteilt hatte, beschloss der Deutsche Bundestag eine Anerkennungsleistung von einmalig 2.500 Euro für geschätzt noch etwa 4.000 Überlebende. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Betroffenen bereits verstorben. Laut Historiker Peter Jahn haben Stand 2021 nur 1.767 Menschen die Zahlung erhalten.

Russische-Gefangene-im-Gefangenenlager-1945
Originalbeschriftung (Übers. a. d. Norwegischen): “So haben sie gelebt. Überfüllte, schmutzige Räume, Kranke und Gesunde eng zusammengepfercht entgegen aller Hygieneregeln.”

MEHR ERFAHREN: ANTONINA NIKIFOROVA

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Antonina Nikiforova ist Ärztin und wird in die Rote Armee eingezogen, als das Deutsche Reich unter Hitler die Sowjetunion überfällt. Sie gerät in deutsche Kriegsgefangenschaft. Weil sie sich weigert, für die Nationalsozialist:innen Zwangsarbeit zu leisten, wird sie in einem Konzentrationslager inhaftiert. Unermüdlich setzt sie sich für ihre Mitgefangenen ein – während der Zeit im KZ und noch Jahrzehnte danach.

Autorin: Alina Besser

ZITATE

Grete Staby zitiert nach: Museum Berlin-Karlshorst (Hg.), Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ. Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück, Berlin 2016.

ONLINEQUELLEN

“An Unrecht erinnern. Auf den Spuren sowjetischer Kriegsgefangener”, online Bildungsprojekt der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Kooperation mit Memorial International Moskau:
unrecht-erinnern.info.

“Im Schatten der Erinnerung”, Erinnerungskultur um sowjetische Kriegsgefangene in BRD und DDR:
nd-aktuell.de.

SEKUNDÄRLITERATUR

Fieseler, Beate, Rotarmistinnen im Zweiten Weltkrieg. Motivationen, Einsatzbereiche und Erfahrungen von Frauen an der Front, in: Latzel, Klaus; Maubach, Franka; Satjukow, Silke (Hg.), Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Kriegs vom Mittelalter bis heute (Krieg in der Geschichte Bd. 60), Paderborn 2011, S.301-330.

Museum Berlin-Karlshorst (Hg.), Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ. Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück, Berlin 2016.

Otto, Reinhard, Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42, München 1998.

Römer, Felix, Gewaltsame Geschlechterordnung. Wehrmacht und “Flintenweiber” an der Ostfront 1941/42, in: Latzel, Klaus; Maubach, Franka; Satjukow, Silke (Hg.), Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Kriegs vom Mittelalter bis heute (Krieg in der Geschichte Bd. 60), Paderborn 2011, S.331-352.

Streit, Christian, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Stuttgart 1978.

BILDQUELLEN

Antonina Nikiforova, Mitte der 1930er-Jahre

Fotograf/in unbekannt, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Foto-Nr. 98/119

Brotausgabe Lager Winnica Juli 1941

Hübner: Lager Winnica Juli 1941, Bundesarchiv Bild 146-1979-113-04, CC-BY-SA 3.0, online verfügbar unter: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Russische Gefangene im Gefangenenlager in Norwegen 1945

Fougner, Gunnar: Russische Kriegsgefangene 1945, Riksarkivet RA/PA-0276/U/L0001/0001, public domain, online verfügbar unter:
foto.digitalarkivet.no.

Russische Gefangene 1941

Unbekannt: Russische Gefangene 1941, Bundesarchiv, Bild 146-1976-112-05A, CC-BY-SA 3.0, online verfügbar unter: wikimedia.org. Lizenz: CC BY-SA 3.0.