DIE MASSENHAFTE AUSBEUTUNG VON ARBEITSKRAFT IM NATIONALSOZIALISMUS

Während des Zweiten Weltkriegs wurden geschätzt 26 Millionen Menschen von deutschen Dienststellen in das Gebiet des “Deutschen Reichs” (ca. 13 Mio.) und die besetzten Gebiete (ca. 13 Mio.) verschleppt, um dort Zwangsarbeit zu leisten.

Sie waren im Alltag der Menschen in Deutschland allgegenwärtig: Zwangsarbeiter:innen. Sie schufteten unfreiwillig in Rüstungsfabriken, in der Landwirtschaft, in Arbeits- und Konzentrationslagern oder in Privathaushalten, um die deutsche Kriegswirtschaft am Laufen zu halten. Zivilarbeiter, aber auch Kriegsgefangene und Häftlinge wurden in Deutschland und den besetzten Gebieten eingesetzt, da die deutschen Arbeitskräfte fehlten – die Männer kämpften an der Front und standen dem Arbeitsmarkt daher nicht zur Verfügung. Und auch die deutschen Frauen sollten möglichst keine schwere körperliche Arbeit leisten müssen – ihre vom NS-Staat zugedachte primäre Aufgabe bestand darin, Kinder zu gebären und zu erziehen.


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RASSISTISCHE HIERARCHIEN

Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter:innen waren von einem Aspekt abhängig: Ihrer Herkunft. Denn die nationalsozialistische fanatische Rassenlehre beurteilte den Wert eines Menschen danach, woher er stammte. Während sie die deutsche, “arische Herrenrasse” an die Spitze dieser rassistischen Hierarchie stellten, ordneten sie Süd-, Ost- und Westeuropäer darunter ein. Während Menschen aus westeuropäischen Ländern (z.B. Frankreich, Belgien und den Niederlanden) vergleichsweise gut behandelt wurden, weil sie nach der nationalsozialistischen Rassenlehre der “deutschen Rasse” angeblich ähneln sollten, standen die Zwangsarbeiter:innen aus osteuropäischen Ländern, Jüdinnen und Juden sowie Roma und Sinti und auch Schwarze Menschen weiter unten in der Hierarchie und wurden entsprechend grausamer behandelt.

SOWJETISCHE ZWANGSARBEITER:INNEN

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Sehr weit unten in der rassistischen Hierarchie der Nationalsozialisten stand die größte Gruppe der Zwangsarbeiter:innen: Menschen aus der Sowjetunion, die als „Ostarbeiter“ bezeichnet wurden. Sie kamen u.a. aus heutigen Gebieten Russlands, der Ukraine und Belarus. Sie mussten einen Aufnäher mit den Buchstaben “OST” auf ihrer Kleidung anbringen, damit jeder sie sofort erkennen konnte. Denn, und das war für die Nationalsozialisten überaus wichtig, die Deutschen durften keine persönlichen Beziehungen zu den Zwangsarbeiter:innen eingehen. Sie befürchteten, dass sich die “Rassen” vermischen könnten und die deutsche “arische Herrenrasse” dadurch verunreinigt würde. Sexuelle Beziehungen zu Deutschen war ihnen deshalb bei Todesstrafe verboten.


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POLNISCHE ZWANGSARBEITER:INNEN

Schon bald nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939, der den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat, wurden in den überfallenen Gebieten polnische Arbeitskräfte für den Einsatz in der deutschen Wirtschaft rekrutiert. Die Ethnie der Slawen, und somit auch die polnische Bevölkerung, galt in der nationalsozialistischen Rassenideologie als “rassisch minderwertig”. Pol:innen wurden aus diesem Grund besonders schlecht behandelt. Die sogenannten “Polenerlasse” vom März 1940 zielten noch einmal massiv auf die Diskriminierung und Ausbeutung der polnischen Zwangsarbeiter:innen. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen wurden dadurch sehr eingeschränkt.


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WIE KONNTEN 26 MILLIONEN MENSCHEN VERSCHLEPPT WERDEN?

Insbesondere zu Beginn des Krieges meldeten sich Arbeiter freiwillig, um im Reichsgebiet arbeiten zu können. Es gab in Deutschland eine spezielle Abteilung des Arbeitsamts, die dafür zuständig war, Zwangsarbeiter:innen zu rekrutieren. Die Menschen wurden unter falschen Vorwänden gelockt oder mit Drohungen in die Arbeitsverhältnisse gezwungen. Man versprach ihnen Sicherheit, einen guten Lohn für ihre Familien, gute Ernährung und bessere Lebensbedingungen in Deutschland, so wie links auf dem Propaganda-Plakat zu lesen ist: „Kommt, wir gehen zur landwirtschaftlichen Arbeit nach Deutschland. Melde dich sofort bei deinem Gemeindevorsteher.“

Oder den Arbeitern wurde damit gedroht, ihre Familien zu deportieren und zu ermorden, wenn sie sich nicht “freiwillig” zur Arbeit meldeten. Ziel der Nationalsozialisten war es, eine möglichst körperlich belastbare, junge Bevölkerung aus den besetzten Gebieten zu rekrutieren. Oft waren es auch Minderjährige, die verschleppt und ausgebeutet wurden.

Nach einer Weile sprach sich herum, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Fabriken und auf den Höfen nicht so waren, wie man es versprochen hatte. Sehr viele Menschen litten an Hunger und unter physischen und psychischen Misshandlungen. Die Arbeitszeiten waren unmenschlich lang und es gab für viele keinerlei Arbeitsschutz. Die Menschen waren in heruntergekommenen Baracken, in der Landwirtschaft auch oft in Scheunen und anderen Wirtschaftsgebäuden untergebracht.

Kaum jemand meldete sich mehr freiwillig. Daher begannen die Behörden damit, gezielt ganze Jahrgänge nach Deutschland zur Zwangsarbeit zu deportieren. Als dies auch nicht den gewünschten Erfolg brachte, führten Wehrmacht und Polizei massenhaft Razzien durch. Diese fanden meist an belebten Plätzen, Einkaufsstraßen oder Kinos statt. Die Menschen, die dort gefangen genommen wurden, wurden gewaltsam nach Deutschland verschleppt.

Bei den meisten kam schnell der Wunsch auf, wieder zurück nach Hause zu kommen. Dadurch kam es oft zu unüberlegten oder impulsiven Handlungen. Ein Beispiel dafür ist Walerjan Wróbel. Der 15 jährige Pole zündete eine Scheune auf dem Hof an, wo er arbeiten musste.

Seine Hoffnung war, dass man ihn nach dieser Tat zurück in die Heimat schicken würde. Aber dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen wurde er in das KZ Neuengamme deportiert, wo er als „Krimineller“ stigmatisiert die schwerste Zwangsarbeit leisten musste. Ein Jahr später wurde er als „Volksschädling“ von dem berüchtigten Nazi-Richter Roland Freisler zum Tode verurteilt, der u.a. auch über das Leben der Mitglieder der Weißen Rose gerichtet hatte.

FRAUEN UND SCHWANGERSCHAFT

Die Hälfte aller Zwangsarbeiter:innen waren Mädchen und Frauen, fast alle von ihnen waren im gebärfähigen Alter. Obwohl die Frauen teilweise Zugang zu Verhütungsmitteln hatten, kamen natürlich auch Schwangerschaften zustande. Anfangs wurden schwangere Frauen zurück zu ihren Familien geschickt, da sie nicht mehr voll arbeitsfähig waren. Als es sich jedoch herumsprach, dass dies eine Möglichkeit sei, zurück nach Hause zu kommen, beendeten die Nationalsozialisten diese Praxis und richteten stattdessen Entbindungs- und Kinderanstalten ein. Die Frauen wurden entweder zur Abtreibung gedrängt (was für deutsche Frauen unter schwerer Strafe verboten war), oder sie entbanden in sogenannten “Entbindungslagern”, wobei sie bis kurz vor der Entbindung arbeiten und kurz danach ihre Arbeit wieder aufnehmen mussten. So hatten sie keine Zeit sich um die Neugeborenen zu kümmern, weswegen viele dieser Kinder, z.B. an Mangelernährung, starben.


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ITALIENISCHE MILITÄRINTERNIERTE

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Nazi-Deutschland und das faschistische Italien unter Benito Mussolini waren im Zweiten Weltkrieg zunächst Bündnispartner. Nach dem Sturz Mussolinis unterzeichnete Italiens Regierung unter Badoglio am 8. September 1943 den Waffenstillstand mit den Alliierten und trat damit aus dem Bündnis mit dem NS-Staat aus. Als Reaktion darauf nahm die deutsche Wehrmacht rund 650.000 italienische Soldaten gefangen und verschleppte sie ins Deutsche Reich und die besetzten Gebiete, wo sie zum Arbeitseinsatz gezwungen werden sollten. Damit galten sie eigentlich als Kriegsgefangene, die unter besonderem völkerrechtlichen Schutz (Genfer Abkommen von 1929) standen. Doch der NS-Staat entschied sich für einen ungewöhnlichen und folgenreichen Schritt: Den italienischen Soldaten wurde der Status als Kriegsgefangene entzogen. Stattdessen wurden sie zu “Italienischen Militärinternierten” (IMI) erklärt, ein völlig neu geschaffener Status. Damit wurden sie als Militärangehörige eines befreundeten Staates betrachtet, was nur möglich war, da Nazi-Deutschland Italien zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Krieg erklärt hatte. Mit dem neuen Status verloren die italienischen Soldaten den Schutz durch das Völkerrecht und der NS-Staat konnte ihre Arbeitskraft ungehindert für die Rüstungsindustrie ausbeuten. In der Folge mussten die italienischen Soldaten unter zumeist grausamen Lebens- und Arbeitsbedingungen Zwangsarbeit leisten.


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NATIONALSOZIALISTISCHER TERROR IN ARBEITSERZIEHUNGSLAGERN

Auch in den so bezeichneten “Arbeitserziehungslagern” (AEL) wurden rund eine halbe Million Menschen zur Zwangsarbeit gezwungen. Diese Lager wurden ab dem Jahr 1940 von den regionalen Gestapo-Stellen errichtet und auch von ihnen kontrolliert. Bei Kriegsende existierten rund 200 dieser Lager allein im Deutschen Reich. Heinrich Himmler hatte im Jahr 1941 erlassen, dass in den AEL “nur Arbeitsverweigerer sowie arbeitsvertragsbrüchige und arbeitsunlustige Elemente eingewiesen werden”. Die Gestapo nutzte diese Lager daher unter dem Deckmantel einer Erziehungsmaßnahme für Menschen, die sie z.B. als “Arbeitsverweigerer” identifiziert hatten, und zudem auch willkürlich, wenn sie Menschen schikanieren wollten.


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WIEDERGUTMACHUNG FÜR
ZWANGSARBEITER:INNEN

Das Bundesentschädigungsgesetz schloss Verfolgte des Nationalsozialismus, die im Ausland lebten, also vor allem auch die ehemaligen Zwangsarbeiter:innen, grundsätzlich von Wiedergutmachungsansprüchen aus. Diese Situation änderte sich auch nicht durch die Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommen. Wiedergutmachungszahlungen wurden hier rechtlich als „Reparationsansprüche“ definiert und das Thema der im Ausland lebenden Verfolgten aufgeschoben, bis es einen offiziellen Friedensvertrag geben würde.

Erst nach dem Ende des Kalten Krieges, der deutschen Wiedervereinigung und den 2+4-Verträgen wurden Globalabkommen mit den Ländern Osteuropas abgeschlossen. Damit sah die Bundesrepublik dieses Thema als erledigt an. Trotzdem kam weiterhin Druck, vor allem aus den USA, finanzielle Wiedergutmachung an Zwangsarbeiter:innen zu leisten. Mittels der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ kam es dazu, dass ab dem 30. Mai 2001 erste Gelder an diese Verfolgtengruppe ausgezahlt wurden. Aber auch diese Zahlungen sind als eher symbolisch anzusehen, weil die Leistungen eher gering waren. Die weitaus meisten ehemaligen Zwangsarbeiter:innen erlebten diese finanzielle Wiedergutmachung nicht mehr, obwohl sie ihr Leben lang an physischen und psychischen Folgen der Zwangsarbeit litten.

MEHR ERFAHREN

Maria
Potrzeba

Natalija
Radtschenko

Autorin: Lena Knops

BILDQUELLEN

Ablehnung der Begnadigung von Walerjan Wróbel vom 15.8.1942

Ablehnung der Begnadigung Walerjan Wróbel vom 15.8.1942 (Abschrift), gemeinfrei, online verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/.

Fehrbellin Bastfaserfabrik

Doris Anthony, Ehemalige Bastfaserfabrik Fehrbellin, 07.09.2010, online verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/, Lizenz: CC-BY-SA 4.0.

Fünf italienische Soldaten posieren mit Gewehren

Five Italian soldiers pose with their weapons in a base near a mountain. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #92048. Courtesy of Liana Morpurgo Nizza. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Jüdische Männer werden von Deutschen angewiesen, Munition einzuladen

Jewish men are forced to load a munitions train under German supervision. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #07713. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park/ Bundesarchiv, Bild 146/91/14/8. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Mauthausen Zwangsarbeit

Concentration camp inmates at forced labor hauling cartloads of earth for the construction of the „Russian camp“. United States Holocaust Memorial Museum Photo Archives #12352. Courtesy of National Archives and Records Administration, College Park. Copyright of United States Holocaust Memorial Museum.

Propaganda-Plakat: Wir gehen zur landwirtschaftlichen Arbeit nach Deutschland

Chodźmz na roboty rolne do Niemiec, gemeinfrei, online verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/

Ukrainische Ostarbeiterin IG Farben, Auschwitz

Autor:in unbekannt, IG-Farbenwerke Auschwitz, 1941, Bundesarchiv, Bild 146-2007-0074, online verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/, Lizenz: CC-BY-SA 3.0.

Wir fahren ins Reich

Jedziemy do Rzeszy, gemeinfrei, online verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/

Zutritt für Polen verboten

Autor:in unbekannt, “No Entrance for Poles“. Forced Labor. Poland. [Two Photographs], 1939, The Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs: Photography Collection, The New York Public Library, New York Public Library Digital Collections, gemeinfrei, online verfügbar unter: https://digitalcollections.nypl.org/

SEKUNDÄRLITERATUR

Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.), Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der Gestapo (Brandenburgische Historische Hefte, Bd. 17), Berlin 2014, online verfügbar: https://www.politische-bildung-brandenburg.de/

Brügmann, Cord, „Wiedergutmachung“ und Zwangsarbeit. Juristische Anmerkungen zur Entschädigungsdebatte, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.), Zwangsarbeit (Dachauer Hefte Bd. 16), Dachau 2000.

Herbert, Ulrich, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bd. 410), Bonn 2003.

Lotfi, Gabriele, KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart/München 2000.

Spoerer, Mark, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945 Stuttgart, München 2001.

Plato, Alexander von/Leh, Almut/Thonfeld, Christoph (Hg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien 2008.

Pohl, Dieter/Sebta, Tanja (Hg.), Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung, Arbeit, Folgen, Berlin 2013.

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