Das “Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” trat am 1. Januar 1934 in Kraft.
Am 14. Juli 1933 erließ die nationalsozialistische Regierung das entscheidende Gesetz, um im Sinne der “Rassenhygiene” Zwangssterilisationen möglich zu machen. Es trat im darauffolgenden Jahr in Kraft. Demnach konnte gegen seinen Willen unfruchtbar gemacht werden, wem die Diagnose “erbkrank” angehangen wurde: „Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
Die Definition von “Erbkrankheit” war im Nationalsozialismus nicht wissenschaftlich, sondern ideologisch bestimmt. Gerade der “angeborene Schwachsinn” wurde von Gesundheitsbehörden und Ärzt:innen genutzt, um arme, unangepasste oder weniger gebildete Menschen zwangssterilisieren zu lassen – also Menschen, die im NS als “asozial” abgestempelt wurden. Eine Erweiterung des Gesetzes von 1935 erlaubte neben der Zwangssterilisation nun auch die “freiwillige” Kastration von Männern mit “entartetem Geschlechtstrieb” und Abtreibungen bei “erbkranken” schwangeren Frauen. Rund 350.000 Menschen wurden in der NS-Zeit auf Grundlage des “Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht. Es gab auch “freiwillige” Sterilisationen auf Grundlage des “Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses”. Diese sind oft darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen in psychiatrischen Anstalten saßen und die Sterilisation zur Bedingung für die Entlassung gemacht wurde. Bei den Eingriffen starben 5.000 bis 6.000 Frauen und rund 600 Männer.
Propaganda des Reichsnährstandes zur “Vermehrung der Minderwertigen” aus dem Jahr 1936.
Die Zwangssterilisierungen der so bezeichneten “Rheinlandbastarde”, meist Jugendliche, die von Schwarzen Soldaten der französischen Armee und deutschen Frauen während der Rheinlandbesetzung gezeugt wurden, ging auf einen “Führerbefehl”, also eine direkte Anordnung Adolf Hitlers vom Frühjahr 1937 zurück.
Für Zwangssterilisierungen allein aufgrund der äußeren Erscheinung gab es selbst im nationalsozialistischen Deutschland keine gesetzliche Grundlage, sodass dieser “Führerbefehl” illegal und unter strengster Geheimhaltung ausgeführt wurde.
Zuständig für die Umsetzung war die für diesen Zweck gebildete “Sonderkommission 3” der Berliner Gestapo mit untergeordneten Kommissionen in Wiesbaden, Ludwigshafen und Koblenz. Mehrere hundert von den Nationalsozialist:innen als “Rheinlandbastarde” identifizierte Schwarze Menschen wurden in diesem Zusammenhang in Krankenhäusern zwangssterilisiert. Belegbar ist, dass mindestens 436 Personen davon betroffen waren, aber die Dunkelziffer könnte weit höher liegen.
Skulptur des von NS-Zwangssterilisation betroffenen Paul Wulf in Münster, der jahrelang um Aufarbeitung kämpfte.
Zwei Jahre nach Kriegsende kam es zu einem Prozess gegen die Ärzte, die Zwangssterilisierungen an Schwarzen Menschen durchgeführt hatten. Sie mussten sich für den Tatvorwurf der “hundertfachen vorsätzlichen Körperverletzung mit anschließendem Verlust der Zeugungsfähigkeit” verantworten. Die Täter zeigten kein Unrechtsbewusstsein und gaben an, „nur auf Befehl des Führers” gehandelt zu haben. Das Verfahren wurde eingestellt.
Im Jahr 1961 verhandelte der zuständige Bundestagsausschuss über Entschädigungszahlungen für als “erbkrank” zwangssterilisierte NS-Verfolgte. Als Sachverständige wurden hierzu Ärzte gehört, die selbst an “Euthanasie”-Verbrechen beteiligt waren. Sie rechtfertigten die Zwangssterilisierungen im Sinne der “Erbhygiene” und verteidigten das Handeln der beteiligten Mediziner:innen als verantwortungsvoll, solange dem Eingriff ein Verfahren vorausgegangen sei. Das Erbgesundheitsgesetz sei kein NS-Unrecht gewesen, sondern entsprach „in seinem Kerngehalt wirklich der damaligen und auch der heutigen wissenschaftlichen Überzeugung“.
Entsprechend dieser Aussagen lehnte die damalige Regierung Entschädigungen für Zwangssterilisierte ab. Erst ab 1980 konnten die Betroffenen eine einmalige Entschädigungsleistung in Höhe von 5.000 DM beantragen. Acht Jahre später entschied der Bundestag, dass die auf der Grundlage des Erbgesundheitsgesetzes vorgenommenen Zwangssterilisierungen nationalsozialistisches Unrecht waren. Erst 1998 wurden die Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte per Gesetz aufgehoben.
Autor:innen: Alina Besser, Lena Knops
Arbeitsgemeinschaft Bund der “Euthanasie”-Geschädigten und Zwangssterilisierten
euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de
Gerst, Thomas, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses: Ächtung nach 74 Jahren, in: Deutsches Ärzteblatt 1-2/2007.
Hörath, Julia, „Arbeitsscheue Volksgenossen“. Leistungsbereitschaft als Kriterium der Inklusion und Exklusion, in: Buggeln, Marc / Wildt, Michael (Hrsg.), Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S. 309-328.
Mietzner, Thorsten, “Körperlich und geistig nicht ganz echt”. Die Rolle von Stadtverwaltung und sozialen Einrichtungen bei den Zwangssterilisationen im nationalsozialistischen Lahr, in: Geroldsecker Land. Jahrbuch einer Landschaft. Heft 66, Lahr 2024, S.5-26.
Tümmers, Henning, Anerkennungskämpfe. Die Nachgeschichte der nationalsozialistischen Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik, Göttingen 2011.
Pommerin, Reiner, Sterilisierung der Rheinlandbastarde. Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit 1918–1937, Düsseldorf 1979.
Westermann, Stefanie, Medizingeschichte: „Trag ich bis ans Lebensende dieses Mahnmal, eine Gezeichnete“, in: Deutsches Ärzteblatt 11/2011.
Reichsgesetzblatt 25 Juli 1933
Reichsgesetzblatt 25 Juli 1933, gemeinfrei, online verfügbar:
wikipedia.org
Ausstellungsbild des Reichsnährstandes
Ausstellungsbild des Reichsnährstandes: „Die Gefahr der stärkeren Vermehrung der Minderwertigen“; © Volk und Rasse, 11. Jg., 1936, Rechteinhaber:in unbekannt.
Skulptur Paul Wulf
Rabich, Dietmar, Skulptur Paul Wulf, Münster 2016, CC BY-SA 4.0, online verfügbar:
wikimedia.org
Hinweis: Trotz großer Recherchebemühungen ist es uns nicht gelungen, für einige der verwendeten Bilder Urheber bzw. Rechteinhaber ausfindig zu machen. Sollten Sie Rechte an einem der verwendeten Bilder innehaben, melden Sie sich bitte bei uns unter info@nsberatung.de.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen